24.1.09

Cast Lead – ein (vorläufiges) Fazit

Die Operation Cast Lead („Gegossenes Blei“) ist – vorerst zumindest – beendet. Die israelische Armee hat vor einigen Tagen eine vorläufige Waffenruhe ausgerufen, die an die Bedingungen geknüpft ist, dass die Hamas ihren Raketenbeschuss dauerhaft einstellt und nicht weiter mit Waffen beliefert wird. Auf seinem Weblog hat sich der israelische Historiker Yaacov Lozowick (Foto) – Autor des vorzüglichen Buches Israels Existenzkampf und bis 2007 Leiter des Archivs der Shoa-Gedenkstätte Yad Vashem – Gedanken darüber gemacht, was mit der Operation erreicht wurde. Lizas Welt hat den Beitrag ins Deutsche übersetzt.


VON YAACOV LOZOWICK


Ein Freund und Unterstützer Israels, der in weiter Entfernung lebt und die hebräischsprachigen Medien nicht verfolgen kann, hat mir geschrieben und mich gefragt, was Israel eigentlich erreicht hat, wenn es überhaupt etwas erreicht hat. Weil ich seine grundlegenden Positionen kenne, kann ich sagen: Das ist eine legitime Frage und keine Stichelei. Das Problem mit dem Bloggen, wie überhaupt mit Einschätzungen, ist es, dass wir nicht einmal ansatzweise den Durchblick haben. Aber er fragt jetzt und nicht in fünf Jahren, also ist hier der Versuch einer Antwort.

Der innerisraelische Schauplatz

Die Operation in Gaza hat zwei extrem wichtige Ziele erreicht und ein drittes womöglich verfehlt. Der erste wichtige Erfolg war die Wiederherstellung der Solidarität in Israel. In diesem sehr langen Krieg befinden wir uns als Nation und Gemeinschaft, nicht als Ansammlung von Individuen. Als die zweite Intifada 2002/03 geschlagen worden war, kehrten die meisten von uns zu einem normalen Leben zurück – nicht aber die Bewohner von Sderot und der Nachbarorte. Irgendwann werde ich einmal über die Lähmung schreiben, die der jahrelange Raketenhagel auf Sderot zur Folge hatte. Und je länger er dauerte, umso schlimmer wurde diese Lähmung. Aber der Rest von uns tat so, als ob es den Beschuss nicht gäbe. Der offensichtlichste Beleg dafür war, dass diejenigen Organisationen, die eigentlich für gesellschaftliche Solidarität und soziales Bewusstsein da sind, diesen hilfsbedürftigen Teil der Gesellschaft dort im Süden einfach links liegen ließen. Nachdem wir in den Krieg gezogen waren, haben die meisten von diesen Organisationen unsere Grausamkeit gegenüber den Palästinensern gegeißelt, ohne ein Wort über die Bewohner von Sderot zu verlieren (siehe auch den Artikel von David Grossman).

Aber das Hauptproblem gab es nicht mit der armseligen und verrückten Linken, sondern mit dem israelischen Mainstream. Der hat nämlich gelernt, mit dem Leiden der Sderoter nach dem Motto zu leben: Wir können die Hamas nicht stoppen, weil sie in der Bevölkerung von Gaza eingebettet ist, also sollen die Sderoter bitte aufhören zu nörgeln. Können Sie sich etwas Gemeineres vorstellen? Die Operation in Gaza hat uns wieder zur Vernunft kommen lassen: Wir leben hier einer für den anderen, und es ist nun einmal so, dass die Verteidigung einiger von uns die Entschlossenheit und den Willen der anderen erfordert.

Das zweite interne Ziel war es, uns selbst noch einmal zu bestätigen, dass wir wissen, wie wir zu handeln haben. Der Zweite Libanonkrieg im Sommer 2006, der in verschiedener Hinsicht ein Fiasko war, hatte daran Zweifel aufkommen lassen. Die Operation in Gaza, die auf vielen Ebenen ein Erfolg gewesen ist, hat uns gezeigt, dass dieses Handeln eine Frage der Willensstärke ist, aber auch eine der Professionalität. Jemand muss Informationen über den Feind zusammentragen, jemand muss in den Orten, die unter Feuer stehen, die Versorgung mit Nahrungsmitteln regeln, und dann gibt es noch hunderte weitere Dinge zu regeln. 2006 ging viel daneben – erstaunlich viel. Im Januar 2009 lief es wesentlich besser. Ich habe keinen Zweifel daran, dass alle Beteiligten nun genau analysieren, was passiert ist, um ihren Job beim nächsten Mal noch besser zu machen. Und wir alle wissen, dass es ein nächstes Mal geben wird. Dann könnte es gut sein, dass nicht mehr Sderot mit kleinen Raketen angegriffen wird, sondern Tel Aviv mit großen. Und darauf müssen wir vorbereitet sein. Jetzt wissen wir aber wieder, dass wir wissen, was zu tun ist.

Das Ziel, das – zumindest bislang – nicht erreicht wurde, war es, Gilad Shalit zurückzuholen. Ich weiß nicht, warum wir das nicht geschafft haben, und es ist denkbar, dass die Operation das Kräftespiel mit der Hamas verändert hat und er bald gegen Hunderte ihrer Leute ausgetauscht wird. Aber das ist noch nicht geschehen. Nach dem derzeitigen Stand der Dinge haben wir es nicht vermocht, ihn zurückzuholen. Dieser Fehlschlag hat etwas mit dem Thema Solidarität zu tun, und er ist schlimm. Aber das Gesamtbild ist trotzdem immer noch positiv. Ich habe es hier schon oft geschrieben: Schlussendlich liegt die historische Erklärung für die äußerste Langlebigkeit der Juden und für die beharrlichen Erfolge Israels darin, dass die Juden und Israelis entschlossen sind, zu leben und Erfolg zu haben. Das ist der Schlüssel. Die Operation in Gaza hat das nachdrücklich gezeigt.

Die Palästinenser

Was hat die Operation in Bezug auf sie erreicht? Wir müssen zwischen mindestens zwei, vielleicht sogar drei verschiedenen Gruppen von Palästinensern unterscheiden:
  • Erstens: die Hamas. In der heutigen Printausgabe der Haaretz gab es einen Artikel, in dem stand, Khaled Meshaal [der Leiter des Politischen Büros der Hamas] habe eingeräumt, es sei die Taktik der Hamas gewesen, einem dreitägigen israelischen Angriff standzuhalten und dann den Sieg zu verkünden. „Wir haben nicht erwartet, dass die Israelis so entschlossen und destruktiv sind“, sagte er. Es war derselbe Khaled Meshaal, der noch letzten Donnerstag den Sieg der Hamas ausgerufen und erklärt hatte, die Hamas habe keine Verluste zu beklagen – selbst, als am unteren Rand des Bildschirms die Nachricht von der Tötung ihres Mitstreiters [und „Innenministers“] Said Siam entlang flimmerte. (Nebenbei bemerkt: Die Hamas ging davon aus, dass Israel sich exakt so verhalten würde, wie es David Grossmans Forderung entsprach. Grossman schrieb am dritten Tag der Operation, wir hätten uns durchgesetzt und sollten nun aufhören. Sein Beitrag wurde in mehrere Sprachen übersetzt und weltweit veröffentlicht.) Wird Meshaals Erstaunen zu einem Zögern führen, auf Israelis zu schießen? Die Zukunft wird es zeigen, aber das Beispiel Hassan Nasrallah ist schon mal ermutigend.

  • Zweitens: die Palästinensische Autonomiebehörde (PA). Wie wir alle wissen, hat die Fatah die IDF größtenteils dabei unterstützt, mit der Hamas das anzustellen, was sie selbst nicht kann. Ich weiß nicht, ob das gut ist. Wichtiger ist aber, dass die PA unter Salam Fayad den Israelis ein größer werdendes Maß an Sicherheit gewährt und der Bevölkerung eine größere Prosperität (ausgerechnet jetzt!) sowie ganz generell eine gewisse Normalität. Die Unterschiede zwischen Israel und der West Bank auf der einen Seite und Israel und dem Gazastreifen auf der anderen hätten nicht größer sein können. Wird die PA es schaffen, das in förderliche politische Ergebnisse münden zu lassen? Wer weiß, vielleicht.

  • Drittens: die palästinensische Bevölkerung. Es ist das zweite Mal in einem Jahrzehnt, dass wir ihr demonstriert haben, dass sie uns nicht mit Gewalt in die Knie zwingen kann, sondern dass wir im Gegenteil sehr böse werden, wenn sie es übertreibt. Nicht so böse allerdings, wie sie es im umgekehrten Fall würde, nicht mal im Entferntesten. Das scheint sie auch zu erkennen, und dennoch: Wenn wir uns ärgern, werden wir definitiv böse. Jetzt haben sie also zwei Modelle zur Wahl. (Und: Nein, ich habe keine Angst, dass wir nur eine neue Generation hasserfüllter junger Palästinenser hervorgerufen haben, die entschlossen ist, Selbstmordattentate zu verüben. Ich wüsste nicht, wie sie uns noch mehr hassen könnten, als sie es ohnehin schon tun. Und ich werde nie vergessen, dass die Monate, die unmittelbar auf die Unterzeichnung des Rahmenabkommens im September 1993 folgten, den steilsten Anstieg palästinensischer Gewalt aller Zeiten brachten, nur noch überboten im Herbst 2000, nachdem Ehud Barak das Angebot unterbreitet hatte, die meisten Siedlungen zu räumen.)

Die arabische Welt

Die Operation in Gaza hat noch einmal belegt, was kenntnisreiche Beobachter ohnehin schon wussten: Es gibt einen tiefen Riss zwischen den Arabern, die ihre eigenen Verrückten hassen und fürchten, und denen, die entweder die Verrückten sind oder glauben, die Verrückten nutzen zu können. Diese Verrückten müssen aus dieser Welt verschwinden, denn sie sind die Feinde der Menschheit. Letztlich können sie nur von der übrigen muslimischen Welt besiegt werden. Ich wüsste nicht, wo die Operation diesbezüglich Schaden angerichtet haben sollte; es ist vielmehr denkbar, dass sie recht nützlich war. Immer wieder gab es Artikel in den israelischen Medien, in denen viele Araber den Israelis zuflüsterten, sie könnten die Hamas zerschlagen, aber nur, wenn sie es nicht wieder so verbockten wie im Libanon mit der Hizbollah. Ich glaube nicht, dass wir es diesmal verbockt haben, aber ich glaube auch nicht, dass das eine große Rolle spielt. Es sind die Muslime und Araber, die ihre Teufel besiegen müssen. Wir können das nicht für sie tun. Und Obama auch nicht.

Europa

Wie einige Leser auf diesem Blog bereits geschrieben haben, waren die europäische Reaktionen alles in allem womöglich besser, als es den europäischen Medien lieb war. Mit Sicherheit stand im Guardian während der Operation nichts, was den Besuch von sechs europäischen Regierungschefs in Israel erklären würde – einen überwiegend freundlichen und solidarischen Besuch. Entweder haben diese Regierungschefs von ihren Geheimdiensten Informationen bekommen, die nicht in den Medien standen, oder sie wissen, dass ihre Wähler den eigenen Medien nicht glauben. Oder beides.

Vor einiger Zeit war es angesagt, ein Jahr des 20. Jahrhunderts auszuwählen und uns in es zurückzuversetzen. (Wir befinden uns im Jahr 1938. Nein, im Jahr 1941. Nein, im Jahr 1945. Nein, ihr Idioten, im Jahr 2003.) Nun, wir befinden uns auf eine verstörende Art und Weise im Jahr 1909. Zu dieser Zeit griff eine gebildete Minderheit endgültig zu einer Weltanschauung des Hasses, deren Kern aus einem abscheulichen Antisemitismus bestand. Der Nationalsozialismus war, wie alle Studenten wissen, keine Erfindung einiger Irrer nach der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg und den folgenden politischen und ökonomischen Umwälzungen. Die Ideen des Nazismus wurden vielmehr samt und sonders bereits Jahre vor dem Ersten Weltkrieg entwickelt.

Einhundert Jahre später gibt es wieder eine gebildete Minderheit mit einer Weltanschauung des Hasses, deren Kern ein abscheulicher Antisemitismus ist. Das ist beunruhigend – oder sollte es zumindest sein. Die Operation in Gaza hat diese Minderheit nicht erst hervorgebracht, und umgekehrt brauchte die Minderheit die Operation nicht, um ihr Gift zu entwickeln. Da aber nun jeder weiß, wer und wo diese Minderheit ist, sollte vielleicht jeder etwas gegen sie unternehmen (was natürlich nicht jeder tun wird).

Zum Schluss die entscheidende Frage: Hat die Operation bei der kommenden Regierung Obamas etwas verändert? Ich weiß es nicht. Wissen Sie es? Aber ich glaube es nicht. Wenn sie die letzten Wochen gebraucht haben sollten, um etwas über den israelisch-arabischen Konflikt zu erfahren, wären sie Dummköpfe. Ich bezweifle jedoch, dass sie das sind.

Foto: privat. Siehe auch das Interview mit Yaacov Lozowick auf diesem Weblog vom 12. April 2007.

22.1.09

Hart, aber fair



Man könnte ganze Seminararbeiten schreiben zum gestrigen ARD-Showdown Hart aber fair, dessen Titel bereits eine so unmissverständliche wie ultimative Aufforderung an die Juden war, endlich die ihnen hierzulande zugedachten Lehren aus Auschwitz zu ziehen: „Blutige Trümmer in Gaza – wie weit geht unsere Solidarität mit Israel“, dieser „Kriegswalze?“ Man könnte endlose Elaborate verfassen über einen Norbert Blüm, der aus einem jüdischen Deutschen automatisch einen Israeli macht und schon dadurch zeigt, dass er weiß, was ein Vernichtungskrieg ist. Man könnte ellenlange Expertisen erstellen über einen Ulrich Kienzle, der denselben jüdischen Deutschen einen „israelischen Propagandisten“ nennt und, als der sich zur Wehr setzt, unvermeidlich die „Antisemitismuskeule“ wittert. Man könnte detaillierte Studien anfertigen über einen Udo Steinbach, dessen ganzer Habitus bereits unweigerlich an jene deutschen Schergen früherer Jahre erinnert, die schon damals genau wussten, dass die Juden den Antisemitismus selbst hervorrufen und ihre Vernichtung ein Akt der Notwehr ist. Man könnte ausführliche Aufsätze formulieren über einen Moderator, der gar nicht erst auf die Idee kommt, dass die „Israelkritik“ etwas mit Judenhass zu tun haben könnte (noch nicht einmal, als die Mehrheit seiner Gäste ihm diese Erkenntnis förmlich aufnötigte), und dessen betroffenes Wehklagen über das Treiben von Neonazis deshalb nichts weiter als der billige Versuch war, das Thema seiner Sendung noch einmal zu legitimieren. Und man könnte Berge von Papier produzieren über jene geläuterten Gerade-wir-als-Deutsche-Deutschen, die da im Gästebuch des WDR, in E-Mails und in Anrufen ihre „Lehren aus der deutschen Geschichte“ ausmährten.

Man kann aber auch einfach Woody Allen (Foto) zitieren, der auf die Mitteilung eines Intellektuellen, einen Essay gegen den Antisemitismus geschrieben zu haben, antwortete: „So? Wie schön! Ich bevorzuge Baseballschläger.“ Und das wäre dann: hart, aber fair.

20.1.09

Die Hätschelkinder der Uno (II)



Der Freiburger Jurist Tilman Tarach analysiert in einem Kapitel seines Buches Der ewige Sündenbock, wie sich die Vereinten Nationen in Bezug auf die Palästinenser als regelrechte Flüchtlingsmaschine betätigen und an deren demografischem Dijhad gegen Israel beteiligen. Lizas Welt veröffentlicht dieses Kapitel in zwei Teilen. Im ersten Teil hat Tarach deutlich gemacht, dass die Uno die Palästinenser alimentiert wie sonst niemanden – während die jüdischen Flüchtlinge aus arabischen Ländern nie ein Thema waren –, dass sie maßgeblich dazu beiträgt, eine riesige, im Elend lebende Manövriermasse gegen den jüdischen Staat heranzuzüchten und dass Israel bei seiner Gründung dennoch rund 160.000 im Land verbliebenen Arabern die Staatsangehörigkeit gab.


Der demografische Djihad und die Flüchtlingsmaschine der Uno (Teil II*)

VON TILMAN TARACH


Nun ist dies freilich alles längst Geschichte, und dass die jüdischen Verbände den Unabhängigkeitskrieg engelsgleich nur mit Lichterketten und Wattebäuschchen gewonnen haben, be­hauptet niemand. Nachdem inzwischen mehrere Generationen von Israelis in ihrem Land geboren sind, verdient es schon von daher seine Existenzberechtigung, ganz unabhängig davon, welche Seite bei seiner Gründung welches Unrecht erlitten oder begangen hat. Tatsächlich verweigerten die Israelis nach dem Waffenstillstand von 1949 den rückkehrwilligen Palästinensern die Repatriierung, und zwar weniger deshalb, weil sie unmittelbare weitere Kampfhandlungen befürchteten, sondern weil sie in der Tat eine zuverlässige jüdische Mehrheit in ihrem Staat für unerlässlich hielten. Das gilt selbstverständlich auch heute, und es ist mitnichten Ausdruck einer „Islamophobie“, einer israelischen „Herrenrassenmentalität“ oder gar eines „Rassis­mus“, sondern Schlussfolgerung einer langen Leidensgeschichte. „Jahrhunderte lang habt ihr uns unterworfen“, haben die Juden alles Recht zu sagen, „Jahrhunderte lang habt ihr uns gedemütigt, gequält, getötet. Jetzt soll es, auf diesem kleinen Flecken Israel, ein Ende damit haben. Lasst uns in Ruhe! Wir haben nichts gegen Muslime und Christen in unserem Land, sofern sie uns nicht angreifen; wir behandeln sie besser, viel besser, als sie uns, wo sie die Mehrheit haben. Aber wir wollen uns auf diesem kleinen Flecken Israel nicht von ihnen beherrschen lassen, Polizei und Armee sollen ihnen nicht gehorchen. Muslime und Christen sollen uns einfach in Ruhe lassen.“

Das tatsächlich bestehende Elend der „palästinensischen Flüchtlinge“ muss also durch Einbürgerung in die arabischen Länder bzw. in den palästinensischen Staat beendet werden, so, wie nach dem Ersten Weltkrieg zwischen Griechenland und der Türkei ein Bevölkerungstausch eher größeren Maßstabs erfolgte und 1951 zwischen Pakistan und Indien sogar die zehnfache Zahl an Menschen ausgetauscht wurde. Und um die Juden aus arabi­schen Ländern, die stillschweigend in Israel integriert wurden (ein kleiner Teil davon siedelte auch in andere Länder), um die über zehn Millionen deutschen Heimatvertriebenen (Sudetendeutsche und andere), die doch recht problemlos in Deutschland eingegliedert wurden, macht man heute auch kein großes Gedöns mehr (übrigens waren nicht alle Nazis, man denke nur an Arno Schmidt). Mit dem ganzen, ziemlich völkisch gefärbten Heimatvertriebenen-Kult der Palästinenser sollte also allmählich Schluss sein.

„Rückkehrrecht“ wichtiger als eigener Staat

Ist es aber nicht: „Das Rückkehrrecht der Flüchtlinge nach Haifa und Jaffa ist wichtiger als ein eigener Staat“ – dies sagte auf der Konferenz der Arabischen Liga im März 2002 Farouk Kaddoumi, einer der wichtigsten PLO-Vertreter. (1) Man lasse sich diese Äußerung auf der Zunge zergehen! Mahmud Abbas, damals noch Nummer zwei innerhalb der PLO, heute deren Vorsitzender, gab am 23./24. November 2000 in der Zeitung Al-Hayat zu, woran die unter Rabin begonnenen Friedensverhandlungen gescheitert waren (2):
„Das Thema der Flüchtlinge war mindestens ebenso wichtig wie die Jerusalem-Frage und mit Blick auf die Ergebnisse vielleicht noch wichtiger und schwieriger. Wir stießen dabei, und werden das wohl auch in Zukunft, auf den entschiedenen Widerstand der israelischen Regierung, denn im Grunde geht es darum, dass [die Rückkehr der Flüchtlinge] eine Veränderung der Demografie bedeutet, die die Israelis hoffen aufrechtzuerhalten. [...] In diesem Zusammenhang ist anzumerken, und das haben wir auch den Israelis gegenüber deutlich gemacht, dass das Rückkehrrecht Rückkehr nach Israel bedeutet und nicht in den palästinensischen Staat.“
Die PLO folgte damit der Linie des Muftis Hajj Amin el-Husseini, denn schon er bekämpfte erbittert die Idee der Einbürgerung der palästinensischen Araber in die Staaten ihrer Mit-Araber als „eine Verschwörung, um das palästinensische Problem zu elimi­nie­ren“. (3) Wie penetrant nun dieses „Problem“ des Muftis am Leben gehalten und wie subtil das Ganze zugleich von unseren Medien verharmlost wurde, veranschaulicht beispielsweise ein Bericht der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) vom März 2007, in dem es hieß (4):
„Der Gipfel der Arabischen Liga hatte am Mittwoch [28. März 2007] einstimmig zur Umsetzung des saudi-arabischen Nahost-Friedensplans aufgerufen, der 2002 in Beirut beschlossen worden war. Die in Riad versammelten arabischen Staatschefs wandten sich in einem direkten Appell an die israelische Regierung und an die israelische Bevölkerung, den arabischen Friedensplan zu akzep­tieren. Der 2002 von Saudi-Arabien vorgelegte Friedensplan sieht vor, dass die arabische Welt ihre Beziehungen zu Israel normalisiert, wenn sich Israel auf seine Grenzen vor dem Sechstagekrieg von 1967 zurückzieht. Außerdem umfasst der Plan die Gründung eines Palästinenserstaates sowie eine Regelung der Frage der palästinensischen Flüchtlinge.“
Dieser „Friedensvorschlag“ wurde weltweit freudig begrüßt, als „guter Baustein“ im Friedensprozess etwa von Angela Merkel; der US-Präsident Barack Hussein Obama soll sich ähnlich geäußert haben. Israel aber habe, so die NZZ, „die Friedensinitiative der Arabischen Liga zurückgewiesen“; „Israel lehnt Friedens­vor­schlag ab“, titelte die Süddeutsche Zeitung. Wieder einmal blieb also hängen, dass das „halsstarrige“ Israel (das „unverträgliche Israel“, wie der vormalige SS-Generalmajor Erwin Ettel noch in der Zeit schreiben durfte) der eigentliche Bösewicht ist, der Verantwort­liche für den ewigen Konflikt. Denn wer kann schon etwas gegen eine „Regelung der Frage der palästinensischen Flüchtlinge“ haben? Nun hat Israel diesen „Friedensplan“ durchaus nicht rundweg zurückgewiesen, sondern sich gegen den entschei­denden, von der NZZ aber verschwiegenen Punkt gewehrt: die darin vorgesehene Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge nach Israel. (5)

„Judenreines“ Palästina?

Die monarchistischen Friedenshelden aus Riad schlugen also in Wahrheit eine „Zweistaatenlösung“ eigener Art vor: einen palästinensischen Staat, der wie gehabt judenrein bleibt, und einen zweiten Staat, der sich noch „Israel“ nennt und eine jüdische Minderheit besitzt. Wie böse, bitterböse aber auch, dass die Israelis es ablehnen, Selbstmord zu begehen... (Und dieser Plan der demografischen Vernichtung Israels – meist euphemi­stisch als „gerechte Lösung des Flüchtlingsproblems“ verklau­suliert – findet sich jedes Mal in den zahllosen sensa­tionellen „Friedensinitiativen“, die alle Nase lang medienwirksam „präsen­tiert“ werden.) In Zusammenarbeit mit der Arabischen Liga haben dieselben Saudis in ihrem neuen Staatsbürger­schaftsrecht vom Oktober 2004 noch einmal klar gestellt, dass sie hiervon nicht abrücken. In Saudi-Arabien lebende Ausländer sollen danach zwar einfacher als bisher die saudi-arabische Staatsangehörigkeit erlangen können, etwa eine Million Ausländer aller Nationen werden nach arabischen Schätzungen davon profitieren. Ausdrücklich ausgenommen von der Anwendbarkeit des Gesetzes sind aber wieder und nur die Palästinenser, von denen etwa eine halbe Million im Königreich lebt: „Um die Zersetzung ihrer Identität zu vermeiden und um ihr Recht auf Rückkehr in ihre Heimat zu schützen“, bekommen sie die Staatsbürgerschaft der Saudis keinesfalls. (6)

Wo bleibt angesichts dieser Diskriminierung der Palästinenser eigentlich die Kritik der hiesigen Palästinenser-Freunde an den arabischen Nachbarstaaten? Wenn ihnen das oft wirklich bedau­erliche Schicksal der außerisraelischen Palästinenser in Wahrheit wurscht ist und es ihnen nur um Stänkerei gegen Israel geht, dann wundert es freilich nicht, dass sie hier Maulaffen feil halten. Auf einen entsprechenden anklagenden Bericht in der jungen Welt dürfen wir jedenfalls genauso lange warten wie auf einen in der Süddeutschen oder bei CNN. Prominente Israelhasser wie der Pentagon-Kumpan Noam Chomsky nehmen die arabischen Staaten sogar in Schutz. Chomsky, der stets Solidarität mit den Palästinensern heuchelt, wendet sich dagegen, den arabischen Staaten ihre Weigerung, die bei ihnen lebenden Palästinenser einzubürgern, vorzuwerfen. Denn, so erklärt er, dieser Vorwurf würde „wie üblich die eigenen Wünsche der Palästinenser ignorieren, die darauf bestehen, ihre nationale und kulturelle Identität zu bewahren und in ihr Heimatland zurückzukehren.“ (7)

„Eigene Wünsche“? „Identität“?! Na ja... Dass viele Palästinenser womöglich gar nichts dagegen hätten, unter ihren arabischen Brüdern in Ägypten, Jordanien, Syrien und im Libanon zu leben, wenn man sie nur ließe und ihnen nicht stets und von allen Seiten einbimste, sie müssten mit ihrem Herzblut an ihrer Scholle hängen, dass sie also mit allen staatsbürgerlichen Rechten auch gerne in Kairo oder Alexandria, in Amman oder Akaba, in Aleppo oder Damaskus, in Beirut oder Tripoli leben würden, statt unbedingt und ganz dringend in Haifa, Tel Aviv oder Netanja das sattsam bekannte „friedliche Zusammenleben mit den jüdischen Nachbarn in einem demokratischen Palästina“ zu praktizieren: Das kommt diesem selbstgefälligen Zyniker nicht in den Sinn. Chomsky wirft den Israelis gerne vor, sie würden die Palästinenser bevormunden, doch wer züchtet und instrumentalisiert wohl in Wahrheit deren „Wünsche“ zu finsteren Zwecken? Die Palästinenser, dies muss freilich gesagt werden, lassen das normalerweise auch gerne mit sich machen, denn es sichert ihre großzügige „Sozialhilfe“.

Anmerkungen:
(1) Die Zeit 22/2002; Rubin, Barry/Rubin, Judith Colp: Yasir Arafat. A political biography, London 2003, S. 212. Die PLO ist also in Wahrheit nicht besonders nationalistisch.
(2) Zit. nach Lozowick, Yaacov: Israels Existenzkampf. Eine moralische Verteidigung seiner Kriege, Hamburg 2006, S. 113.
(3) Zit. Nach Elpeleg, Zvi: The Grand Mufti. Haj Amin al-Hussaini, Founder of the Palestinian National Movement, London 1993, S. 175; vgl. auch ebd., S. 136ff.
(4) Online hier zu finden.
(5) Haaretz, 8. Juli 2007: „Israel has welcomed the plan in principle, but says some aspects, such as an apparent call for resettling Palestinian refugees in Israel, are unacceptable.“
(6) „But Al-Watan Arabic daily reported that the naturalization law would not be applicable to Palestinians living in the Kingdom as the Arab League has instructed that Palestinians living in Arab countries should not be given citizenship to avoid dissolution of their identity and protect their right to return to their homeland. Diplomatic sources have estimated the number of Palestinians in the Kingdom at about 500,000.“ Bericht der arabischen Nachrichtenagentur ArabNews vom 21. Oktober 2004.
(7) Chomsky, Noam: Fateful Triangle. The United States, Israel, and the Palestinians, Cambridge 1999, S. 251.

Das Bild entstammt einer Demonstration von Hamas-Sympathisanten in Berlin am 3. Januar 2009.

* Zum ersten Teil: Bitte hier klicken.

18.1.09

Die Hätschelkinder der Uno (I)



Als die israelische Armee kürzlich in Djabalija im nördlichen Gazastreifen ein Schulgebäude des Palästinenserhilfswerks UNRWA beschoss, war die Empörung groß. Hierzulande mochte kaum jemand zur Kenntnis nehmen, dass die Hamas zuvor nicht nur das Feuer just von dieser Schule aus eröffnet, sondern die UN-Einrichtung auch als Waffendepot und Rückzugsraum benutzt hatte – und das nicht erst seit diesem Tag. Überhaupt ist das Verhältnis der UNRWA zu den palästinensischen Terrorgruppen ein recht entspanntes. Bereits in der Vergangenheit war das Hilfswerk mehrfach ins Gespräch geraten, nachdem seine Gebäude von palästinensischen Terrororganisationen als Verstecke und Waffenlager und seine Fahrzeuge für die Planung und Durchführung von Terroranschlägen benutzt worden waren. Zudem gab es bemerkenswerte personelle Verwicklungen: Der Ende April 2008 durch einen gezielten israelischen Luftschlag getötete Leiter einer UNRWA-Schule im Gazastreifen beispielsweise, Awad al-Qiq, war gleichzeitig Kommandeur des Islamischen Djihad.

Auch darüber hinaus können sich die Palästinenser nicht über eine mangelnde Unterstützung durch die Vereinten Nationen beschweren (was sie allerdings nicht davon abhält, es trotzdem zu tun). Namentlich in Bezug auf die Flüchtlingsfrage und das so genannte Rückkehrrecht funken beide ganz auf einer Wellenlänge. Wie sehr die Uno dabei gewissermaßen als Flüchtlingsmaschine fungiert und sich am demografischen Djihad der Palästinenser gegen Israel beteiligt, hat der Freiburger Jurist Tilman Tarach in einem Kapitel seines Buches Der ewige Sündenbock – Heiliger Krieg, die „Protokolle der Weisen von Zion“ und die Verlogenheit der sogenannten Linken im Nahostkonflikt untersucht. Lizas Welt veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors dieses (vom Verfasser leicht gekürzte) Kapitel in zwei Teilen: Der erste Teil folgt gleich im Anschluss, der zweite am 20. Januar.


Der demografische Djihad und die Flüchtlingsmaschine der Uno (Teil I)

VON TILMAN TARACH

„Hamas konzentriert sich auf Recht und Ordnung, sie versuchen, Waffen einzusammeln, die Kriminalität zu verhindern, und sie versuchen, unsere Mitarbeiter zu schützen. Die Zusammenarbeit würde ich als normal bezeichnen.“ – Karen Koning Abuzayd, Generalkommissarin des UN-Hilfswerks für Palästinenser (UNRWA) (1)

„Ich habe Mitgefühl für Ihren Kampf um das, was das beste für Sie und Ihre Familien ist. UNRWA ist Ihr Partner in diesem Kampf.“ – Karen Koning Abuzayd am internationalen Frauentag 2007 an die Palästinenserinnen aus Gaza (2)
Flucht und Vertreibung großer Menschenmassen bringen stets hässliches Elend hervor, und jedes Mal sind auch Unschuldige betroffen. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es Millionen von Flüchtlingen, und derzeit zählt die Uno ca. 20 Millionen. Eine zentrale Aufgabe des UN-Flüchtlingskommissariats UNHCR besteht nach eigenen Angaben in der „Suche nach dauerhaften Lösungen für die Probleme von Flüchtlingen“, nämlich durch Neuansiedlung in Asyl- oder Drittländern.

Doch manche Flüchtlinge sind gleicher als andere. Die als „palästinensische Flüchtlinge“ geltende Gruppe, die im Zuge des Krieges von 1948 ihre Häuser verlassen hat, genießt eine groteske Sonderstellung. Für sie – nur für sie – hat die Uno eine zweite Flüchtlingsorganisation geschaffen, die UNRWA (United Na­tions Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East), wohingegen das UNHCR für alle übrigen Flüchtlinge zuständig ist. Die von der UNRWA versorgten Palästinenser besitzen außerdem eine höchst erstaunliche Eigenschaft: ihr Flüchtlingsstatus ist nach den UN-Richtlinien – anders als bei allen anderen Flüchtlingen und entgegen der Genfer Flücht­lingskonvention – vererbbar. (3) Die ganz überwiegende Mehrheit der heutigen „palästinensischen Flüchtlinge“ ist also niemals geflüchtet, sondern erlangte diesen einträglichen Status einfach dadurch, dass sie von echten Flüchtlingen abstammt; die UNRWA verspricht den palästinensischen Müttern dadurch eine ewige Unterhaltsgarantie für ihre Nachkommen, was mehr wert ist als jedes Mutterkreuz und sich dementsprechend auswirkt. (Schade, dass es sich bei dieser Regelung mal wieder nur um eine palästinensische Extrawurst handelt, wir müssten ansonsten alle nicht mehr arbeiten, denn irgendeinen Flüchtling wird jeder in seiner Genealogie auftreiben können.)

Nun soll es 1948 nach Angaben der Uno insgesamt ca. 720.000 solcher palästinensischer Heimatvertriebener gegeben haben, doch auch insoweit sind die Kriterien einmalig und mindestens fragwürdig, denn über die Hälfte davon hat dabei Palästina nie verlassen, sondern siedelte aus den Gebieten des zukünftigen Staates Israel ins Westjordanland oder in den Gazastreifen um; weitere zehn Prozent wichen nach Jordanien aus, dessen Gebiet bis 1922 ebenfalls als Teil Palästinas galt. Doch nach der wieder nur für Palästinenser geltenden Definition der Uno wurde 1948 ein Palästinenser schon dann Flüchtling, wenn er „Heim und Auskommen“ im Zuge des Krieges von 1948 verlor und zuvor nur zwei Jahre in Palästina gelebt hatte. Das bedeutet praktisch: Wer sich beispielsweise als ägyptischer Araber 1946 in Tel Aviv oder Jaffa niederließ und 1948 ein paar Kilometer nach Osten ins Westjordanland oder ein paar Kilometer nach Süden in den Gazastreifen umsiedelte (oder nach Ägypten zurückkehrte), ist „palästinensischer Flüchtling“, und zwar unabhängig davon, ob er regelrecht vertrieben wurde, ob er angesichts der allgemeinen Kriegswirren geflohen ist oder ob er am Ende einfach nicht unter einer jüdischen Mehrheit im zukünftigen Israel leben wollte und aus diesem Grunde in eine arabische Stadt zog.

Der vererbbare Flüchtlingsstatus

Wenn sich dieser Araber dann also in Nablus oder Hebron niederließ, Städte im Westjordanland, die 1948 von Jordanien annektiert wurden und fortan rein arabisch waren („judenrein“ trifft es besser, denn auch arabische Juden durften dort nicht leben), so galt er nichtsdestotrotz als palästinensischer Flüchtling, und er sowie seine meist allzu zahlreichen Nachkommen gelten es sogar heute noch, ungeachtet dessen, dass diese Städte seit langem von der Palästinensischen Autonomiebehörde regiert werden. Nehmen wir einen Palästinenser aus Ramallah, der seit 1946 in Tel Aviv arbeitete und lebte: Wenn er 1948 nach Ramallah zurück­kehrte, so gilt auch er – und all seine Nachkommen – bis heute als „palästinensischer Flüchtling“. Für den Gazastreifen gilt dasselbe. (Niemand würde jedoch auf die Idee kommen, die 1948 aus Jerusalem, aus Gaza und aus vielen anderen Teilen der Region vertriebenen Juden und ihre Nachkommen heute als Flüchtlinge zu bezeichnen; in Wahrheit handelte es sich de facto um einen Bevölkerungsaustausch.)

So ergibt sich die aberwitzige Situation, dass die UNRWA zum Ende des Jahres 2007 im Westjordanland 750.000 und im palästinensisch regierten Gazastreifen sogar über eine Million „palästinensische Flüchtlinge“ betreute (die Zahlen hatten sich im Vergleich zum Vorjahr wieder einmal um über drei Prozent erhöht). Es existieren im Gazastreifen und in den autonomen Palästinensergebieten im Westjordanland tatsächlich zahlreiche „Flüchtlingslager“ – etwa ein Drittel der Flüchtlinge lebt in derartigen Ghettos, die man sich allerdings nicht als Zeltstädte mit Notunterkünften vorstellen sollte, denn es handelt sich um ganze Städte oder Stadtteile –, und die UNRWA sowie die dort regierende Hamas bzw. PLO tun alles andere, als die darin lebenden Palästinenser zu integrieren. (Im Libanon leben etwa 220.000 Palästinenser in solchen Flüchtlingslagern, wo sie ebenfalls von der UNRWA versorgt werden; Polizei und Armee des Libanon haben zu diesen Bereichen keinen Zutritt.) Zusammen mit denjenigen, die sich in Jordanien, Syrien und dem Libanon befinden, ergibt sich nach Angaben der UNRWA mittlerweile eine Gesamtzahl von über viereinhalb Millionen registrierten „palästi­nensischen Flüchtlingen“ (4); etwa eineinhalb Millionen weitere sollen sich lediglich noch nicht registriert haben. Die Gruppe Palästina-Solidarität nennt gar die Zahl von 7,4 Millionen palästinensischen Flüchtlingen, und ihnen einschließlich der Nachgeborenen wurde mit erheblichem Erfolg eingeredet, keinen sehnlicheren Wunsch zu haben, als in israelische Städte „zurückzukehren“.

Das Ganze funktioniert freilich nur, wenn diesen Flüchtlingen eine Blut-und-Boden-Gesinnung eingetrichtert wird, die bei Arabern genauso wenig angeboren ist wie bei allen anderen Menschen. Die arabischen Staaten und die UNRWA tun alles dafür. Gigantische Beträge unserer Steuergelder werden dafür eingesetzt, eine riesige, im Elend lebende Manövriermasse gegen Israel heranzuzüchten – halb Palästina lässt sich von den UN aushalten. Die UNRWA hatte 2007 ein reguläres Budget in Höhe von 540 Millionen US-Dollar; hinzu kommen erhebliche „projekt­bezogene“ Geldmittel, die in manchen Jahren noch einmal derselben Größenordnung entsprechen. Sie verfügt über ein Personal von über 29.000 Leuten, die meisten davon sind Palästinenser. Das UNHCR hingegen, das weltweit über 20 Millionen Flüchtlinge versorgt, hat nur 6.300 Mitarbeiter, und ihr jährliches Budget beträgt etwa eine Milliarde US-Dollar. Pro Kopf kümmern sich also zwanzigmal so viele UN-Betreuer um die palästinensischen Flüchtlinge, und sie haben dafür – wiederum pro Kopf – mindes­tens den zweieinhalbfachen Betrag des Geldes zur Verfügung.

Alimentierte Opferrolle

Kein Wunder also, dass Palästinenser sich gerne in ihrer Opferrolle suhlen, denn die Uno alimentiert gut, und auch für Pöstchen-Jäger bieten sich viele Gelegenheiten. Ein gewisser Ali Hweidi etwa reist durch Europa, und – wie der unterstützende Verein für Antirassistische und Friedenspolitische Initiative aus Wien mitteilt – er erklärt, es sei „die Aufgabe der Uno und der Internationalen Gemeinschaft, die selbstverständliche Rückkehr der Vertriebenen in ihre Herkunftsorte zu ermöglichen. Es sei beschämend für die gesamte Menschheit, dass den vertriebenen PalästinenserInnen seit 1948 die Rückkehr in ihre Heimat verwehrt werde und Millionen weiterhin im Exil leben müssten.“ Seine Vorträge werden „gefördert von der Österreichischen Entwicklungs­zusammenarbeit“ (also schon wieder von Steuer­geldern), er selbst ist „Generalsekretär der palästinensischen NGO Palestinian Organization for the Right of Return“ – was es nicht alles gibt! – und „arbeitet und lebt im palästinensischen Flüchtlingslager Rashidiya im Libanon“ (gewiss wiederum von Steuergeldern).

Bevor wir zur Hauptsache kommen, schadet es wohl nicht, einige ungern wahrgenommene Tatsachen in Erinnerung zu rufen. Beispielsweise gab es auch auf jüdischer Seite Flüchtlinge in gleicher Größenordnung; dass Hunderttausende von Juden – nor­malerweise unter Zurücklassung ihres Vermögens – nach Ausru­fung des Staates Israel ihre arabischen Heimatländer verließen, war keineswegs freiwillig, sondern in der Regel Folge der Verschärfung ihres Dhimmi-Status und allzu oft auch handfester Pogrome. Arabische Länder entzogen den Juden zudem massenhaft die Staatsbürgerschaft, konfiszierten ihre Konten und verhafteten sie – vor allem in Ägypten und im Irak – wegen angeblicher Propagierung des Zionismus oder des Kommu­nis­mus; die Gesamtfläche der entschädigungslos zurückgelassenen Grundstücke beträgt nach Schätzungen arabischer Juden das Vier- bis Fünffache der Fläche Israels. (5)

Auffällig ist des Weiteren, dass auch heute kaum ein Palästinenser die Ansicht äußert, die arabischerseits erfolgte Ablehnung des UN-Teilungs­beschlusses von 1947 sei womöglich ein Fehler gewesen, obwohl es ohne diese Ablehnung zu dem ganzen Flüchtlingselend nicht gekommen wäre. Im Übrigen kann noch darauf hingewiesen werden, dass die zionistische Besiedlung der Region seit Ende des 19. Jahrhunderts und die damit einhergehende Schaffung einer Infrastruktur nicht unwesentlich zu der lokalen Ansiedlung von Arabern beigetragen hat. (Die Juden hatten ihre Ländereien den arabischen Großgrundbesitzern abgekauft, die zumeist in Beirut oder Damaskus niedergelassen waren.) Verlässliche Bevölkerungs­statistiken Palästinas existieren für das 19. Jahrhundert nicht, aber die zeitgenössische Reise­literatur gibt eindeutige Hinweise. Mark Twain, der das Heilige Land 1867 besucht hatte – also 15 Jahre vor dem Beginn der ersten jüdischen Einwanderungswelle (der ersten Alija), die durch die Pogrome im zaristischen Russland und die antisemitischen Maigesetze 1882 des Zaren Alexander III. ausgelöst worden war –, schildert in seinem Reisebericht „Die Arglosen im Ausland“ das Jesreel-Tal, das ziemlich genau zwischen Jordan und Mittelmeer im heutigen Norden Israels liegt, wie folgt (6):
„In seiner ganzen Ausdehnung gibt es kein einziges Dorf – dreißig Meilen in jeder beliebigen Richtung auch nicht. Es gibt zwei oder drei kleine Grüppchen Beduinenzelte, aber keine einzige beständige Siedlung. Man kann in dieser Gegend zehn Meilen weit reiten, ohne zehn menschlichen Wesen zu begegnen.“
In Galiläa, diesen „unbevölkerten Wüsten“, beschrieb Mark Twain die Stadt Kapernaum am Nordufer des Sees Genezareth als „öde und menschenleer“, und über die beschwerliche, zehn Meilen lange Reise vom See zum Berg Tabor sah er „auf der ganzen Strecke kein einziges menschliches Wesen“. Zusammenfassend seufzt Twain: „Palästina ist verlassen und hässlich.“ Werfen wir schließlich einen Blick auf die Unabhängig­keits­erklärung des Staates Israel, die am 14. Mai 1948 verkündet wur­de. Dort heißt es u.a. (7):
„WIR APPELLIEREN – inmitten des Angriffs, der schon seit Monaten gegen uns geführt wird – an die arabischen Einwohner des Staates Israel, den Frieden zu bewahren und am Aufbau des Staates auf der Basis von vollständiger und gleichberechtigter Staatsbürgerschaft mitzuarbeiten sowie in allen provisorischen und ständigen Einrichtungen gebührend vertreten zu sein.“
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung will jedoch – kurz nach Scharpings Lüge vom serbischen „Hufeisenplan“ – auch noch so etwas wie einen zionistischen Hufeisenplan entdeckt haben, nämlich einen „Masterplan“, der dazu geführt habe, dass die Palästinenser 1948 „Opfer einer der größten ‚ethnischen Säu­berungen’ des 20. Jahrhunderts“ wurden. (8) Unerwähnt bleibt in der FAZ neben vielem anderen, dass 1948 ca. 160.000 (größtenteils muslimische) Araber innerhalb des israelischen Gebiets blieben, in dem damals etwa 650.000 Juden lebten. Israel vertrieb sie nicht, sondern gab ihnen die israelische Staatsbürgerschaft.

Anmerkungen:
(1) Interview im Handelsblatt, 20. Juli 2007.
(2) UNRWA Commemorates International Women’s Day, 8. März 2007.
(3) Die UNRWA erklärt auf ihrer Webseite beispielsweise: „UNRWA’s definition of a refugee also covers the descendants of persons who became refugees in 1948.“ Siehe: „Who is a Palestine refugee?“
(4) Diese Zahlen finden sich hier.
(5) Haaretz, 10. Januar 2008
(der Artikel schildert u. a. den drastischen Fall des Albert Metzger aus Alexandria). Ausführlicher: Eussner, Gudrun: Die Entstehung des arabischen Antisemitismus und die Vertreibung der Juden aus den arabischen Staaten. Das Flüchtlingsthema einmal anders betrachtet; Roumani, Maurice M.: The Silent Refugees: Jews from Arab Countries. In: Mediterranean Quarterly, Summer 2003, Vol. 14 Issue 3, S. 41-77. Allgemein zum jüdischen Exodus aus den arabischen Ländern: Shulewitz, Malka Hillel: The forgotten Millions. The Modern Jewish Exodus from Arab Lands, London/New York 1999; Cohen, Hillel: The Jews of the Middle East 1860-1972, Jerusalem 1973. Die antijüdischen Maßnahmen wurden von der Arabischen Liga koordiniert, welcher 1948 Ägypten, Irak, Jemen, Jordanien, Libanon, Saudi-Arabien und Syrien angehörten.
(6) Twain, Mark: Die Arglosen im Ausland. In: Gesammelte Werke, Bd. 3, München 1966, S. 446; die folgenden Zitate: S. 459, 467, 481, 559.
(7) Der Text findet sich z.B. hier.
(8) „Ein Fall von ‚ethnischer Säuberung’“, in: FAZ, 9. Januar 2001.

Das Foto entstammt einer antisemitischen Demonstration in Berlin vom 17. Januar 2009.
© Christian J. Heinrich.


Im zweiten Teil: Warum das Elend der „palästinensischen Flüchtlinge“ durch Einbürgerung in die arabischen Länder respektive den palästinensischen Staat beendet werden muss und warum die palästinensischen Führungen genau daran kein Interesse haben.

16.1.09

Geschichtsbewusste Gefahrenabwehr



Irgendwie ist es ja schon seltsam: Vor etwas mehr als 67 Jahren führte hierzulande eine Polizeiverordnung dazu, dass bestimmte, mit deutscher Gründlichkeit ausgesuchte Menschen in der Öffentlichkeit einen Davidstern tragen mussten. Heute hinwiederum kann es passieren, dass die uniformierte Staatsmacht einen so öffentlich wie freiwillig gezeigten Davidstern zwangsweise entfernt, zur Gefahrenabwehr nämlich (Foto). Aber vielleicht sind sie das ja, die viel beschworenen Lehren aus der Vergangenheit, und man sollte deshalb mit dem Einsatzleiter der Duisburger Polizei, der am letzten Samstag zwei Israelfahnen vom Fenster und dem Balkon einer Privatwohnung abnehmen ließ, nicht gar so hart ins Gericht gehen. Er hat es schließlich nur gut gemeint.

Sogar noch besser im Geschichtsunterricht aufgepasst hat sein Kollege in Mainz. Der ließ nämlich ausrichten, wer eine Israelfahne zeige und dabei gar kein Israeli sei, sei ein Provokateur. Wahrscheinlich hat ihn das Zeigen des Davidsterns wg. Nazizeit und so einfach total betroffen gemacht, und es ist bloß eine böse Unterstellung, dass er sich nicht vorstellen konnte, dass in Deutschland jemand, der keinen israelischen Pass besitzt und noch nicht mal Jude ist, etwas für den jüdischen Staat übrig hat. (Übrigens war das Sicherheitspersonal des Mainzer Kaufhof demgegenüber geradezu old school: Als die Fahnenträger vor einigen besonders engagierten Israelkritikern davonliefen und in den Konsumtempel einbogen, bekamen sie von den Aufpassern zu hören: „So Leute wie euch brauchen wir hier nicht.“ Das war nur konsequent, schließlich ist der Laden seit 1933 arisiert.)

Am allergeschichtsbewusstesten waren aber die Freunde und Helfer in Düsseldorf. Die nahmen gleich vier Leute mit, weil sie so aussahen, als könnten sie Israelfahnen zeigen. Einer der vier hatte dann auch tatsächlich so ein blau-weißes Stück Stoff unter seiner Jacke versteckt. Nicht auszudenken, was da hätte passieren können! Deshalb ist es auch gut, dass der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan Kramer, vor „übereilten Konsequenzen bei der Polizei“ gewarnt und gefordert hat, erst müssten „die genauen Umstände der Demonstration und der Polizeieinsatz gründlich aufgearbeitet werden“.

Ein Polizist jedoch hat ihm dabei offensichtlich nicht zugehört. Und zwar nicht irgendeiner, sondern ausgerechnet der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt. Der hat nämlich angekündigt, sich am kommenden Samstag mit einer israelischen Fahne zu einer Demonstration von Freunden der palästinensischen Friedensbewegung (Hamas) zu begeben, weil er findet, es müsse „jederzeit möglich sein, eine Israelfahne zu zeigen“. Wenn das mal keinen Ärger mit den Kollegen vor Ort gibt.

Und noch etwas: Wer einen Wachmann – also einen Hilfspolizisten – vor einer Synagoge mit einer Eisenstange niederschlägt, protestiert damit „offenbar gegen das Vorgehen Israels im Gaza-Krieg“. So, wie am 9. November 1938 offenbar gegen das Vorgehen der Juden im Deutschen Reich protestiert wurde. Das nennt man dann wohl geschichtsbewusste Gefahrenabwehr.

15.1.09

Oldies but Golda

„Frieden wird es geben, wenn die Araber ihre Kinder mehr lieben, als sie uns hassen.“ („Peace will come when the Arabs will love their children more than they hate us.“)

Golda Meir, israelische Außenministerin, vor dem National Press Club in Washington, 1957.

„Wenn es Frieden gibt, werden wir den Arabern vielleicht noch rechtzeitig verzeihen können, dass sie unsere Söhne getötet haben. Aber es wird schwieriger für uns sein, ihnen zu verzeihen, dass sie uns gezwungen haben, ihre Söhne zu töten.“ („When peace comes we will perhaps in time be able to forgive the Arabs for killing our sons. But it will be harder for us to forgive them for having forced us to kill their sons.“)

Golda Meir, israelische Ministerpräsidentin, auf einer Pressekonferenz in London, 1969.

12.1.09

Der „friedliche“ Judenhass

Es ist kaum zu fassen: Da finden in Deutschland und Europa die wohl größten antisemitischen Aufmärsche seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs statt, aber wenn man den Medien Glauben schenken darf, handelt es sich bloß um „friedliche“ oder doch zumindest „überwiegend friedliche“ und jedenfalls legitime Proteste gegen den Krieg in Gaza. Rufen Demonstranten zu Tausenden „Kindermörder Israel!“ oder „Tod Israel!“, machen sie folgerichtig nur ihrer „Wut“ Luft, werfen sie dem „zionistischen Verbrecherregime“ auf Pappschildern vor, einen „Holocaust am palästinensischen Volk“ zu verüben, verleihen sie damit lediglich ihrer „Empörung“ Ausdruck. Hier und da wird zwar mal eine israelische Fahne verbrannt oder „Juden raus!“ respektive „Scheiß-Judenschweine!“ gerufen, na gut, aber das sind dann halt Überreaktionen, die man irgendwo ja auch verstehen kann. Wie formulierte es die Nachrichtenagentur AP so unübertroffen in einer Meldung? „Der durch die israelische Offensive im Gazastreifen geschürte Hass droht sich in zunehmender antisemitischer Gewalt in Europa zu entladen.“ Sie sind es wie immer doch selbst schuld, die Juden. Warum lassen sie sich auch nicht einfach geräuschlos umbringen, statt sich gegen den Terror zu wehren?

„Unfriedlich“ wird es, folgt man der veröffentlichten Meinung hierzulande, erst dann, wenn den Judenfeinden mal jemand etwas entgegensetzt, wie bescheiden das auch immer sein mag. Zwei Beispiele vom vergangenen Wochenende: In Duisburg hatte ein Pärchen zwei Israelfahnen in die Fenster seiner Wohnung gehängt, an der eine von der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş organisierte Demonstration mit 10.000 Teilnehmern vorbei lief. Sofort wurden Hassparolen gerufen und Schneebälle, Steine sowie Messer gegen das Gebäude geworfen; einige Demonstrationsteilnehmer versuchten, das Haus zu stürmen. Das Pärchen beobachtete die Szenerie von der Straße aus und wurde schließlich Zeuge, wie die Polizei in seine Wohnung eindrang und die Israelfahnen entfernte – unter dem Jubel der Hamas-Fans und mit der Begründung, man habe die Situation „deeskalieren“ wollen. In Mainz wiederum beschimpften Teilnehmer einer 5.000 Personen starken antiisraelischen Demonstration einige Gegendemonstranten mit Israelfahnen als „Judenschweine“, bevor sie zur Jagd auf sie bliesen. Die Polizei sprach anschließend von „Provokateuren“ – und meinte damit die Gegendemonstranten, die es gewagt hatten, Israelfahnen zu zeigen, obwohl sie „keine Israelis sind“.

Wer in diesen Tagen einmal eine der zahlreichen, angeblich so „friedlichen“ antiisraelischen Aufläufe, die überwiegend von islamischen und palästinensischen Vereinen und Verbänden organisiert werden, aus der Nähe beobachtet und es nicht mit der Angst zu tun bekommen hat, wenn Tausende von Menschen „Kindermörder Israel!“ oder „Tod Israel!“ gebrüllt haben – oft genug gefolgt von einem „Allahu akbar!“ in der gleichen Lautstärke –, ist entweder abgebrüht bis dorthinaus oder Überzeugungstäter. Diese Manifestationen sind keine irgendwie zu legitimierenden Proteste gegen irgendetwas, sondern hasserfüllte judenfeindliche Zusammenrottungen von Menschen, die Israel einen „Kindermord“ vorwerfen, während sie im Zweifelsfall nicht das geringste Problem damit haben, wenn die Hamas die lieben Kleinen als menschliche Schutzschilde missbraucht oder zu „Märtyrern“ erzieht. Es handelt sich um eine lupenreine Projektion: Der Blutdurst, den sie den Juden vorwerfen, ist ihr eigener; hinter den Vorwürfen, Israel begehe ein „Massaker“, einen „Völkermord“ oder gar einen „Holocaust“ an den Palästinensern, verbirgt sich keine Besorgnis oder Erkenntnis, sondern die Sehnsucht, diese Vernichtung selbst zu exekutieren – an den Juden nämlich.

Das, was sich in Deutschland so stolz und selbstgerecht „Zivilgesellschaft“ nennt, mobilisiert seine Parteien und Verbände gerne mit einem heiligen „Wehret den Anfängen“ auf die Straße, sobald irgendwo ein Neonaziaufmarsch stattfindet. Wenn sich aber die Judenhasser muslimischer Provenienz in einer weit bedeutenderen Größenordnung versammeln, rührt der wiedergutgemachte Deutsche keinen Finger. Zum einen könnte er ja verdächtigt werden, „islamophob“ zu sein; zum anderen erkennt er in den antisemitischen Aufmärschen womöglich – in nur leicht zugespitzter Form – seine eigene „Israelkritik“ wieder. Grund genug also, entweder scheinbar äquidistant zu Hause zu bleiben oder sich gleich einer dieser „Friedensdemonstrationen“ anzuschließen: Anti-Nazi-Pfarrer Stoodt hat schließlich erklärt, dass Israel den Antisemitismus ja erst heraufbeschwört, und der Genosse Paech hat deklariert, der jüdische Staat habe kein Recht auf Verteidigung, die Palästinenser hingegen eines auf „Widerstand“, auch – qua „Verzweiflung und Ohnmacht“ – in Form von Kassam-Raketen.

Paul Spiegel, der verstorbene frühere Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, er hatte einfach Recht, als er sagte: „Hinter dem Ruf nach Frieden verschanzen sich die Mörder.“ Dieser Tage wird das einmal mehr ganz besonders deutlich.

Das Foto entstammt einer antisemitischen Demonstration am vergangenen Samstag vor dem Kölner Dom. © Lizas Welt

11.1.09

I will survive (II)

Vor einer Woche berichtete Tzion Godfrey, Student an der Ben-Gurion-Universität in Beer Sheva, an dieser Stelle über die Raketenangriffe der Hamas auf die Stadt, in der er lebt, und über seinen Umgang damit. Godfrey entschloss sich nach langem Zögern, Beer Sheva vorerst zu verlassen und mit seinem Freund Nadav nach Nahariya in den Norden Israels zu fahren. In einer weiteren E-Mail an seine Freunde schildert er nun, wie es ihm seitdem ergangen ist und wie andere Menschen den Raketenterror bewältigen. Lizas Welt veröffentlicht nachfolgend auch diesen Brief.

VON TZION GODFREY

Dieses 21 Sekunden dauernde Video hier hat jemand aus meinem Studentenwohnheim aufgenommen, als am vergangenen Mittwoch um 15 Uhr eine Grad-Rakete im Innenhof des Wohnheims einschlug. Zum Glück wurde niemand verletzt.

Wie ihr vielleicht wisst, habe ich einen „strategischen Rückzug“ aus Beer Sheva angetreten, nachdem fünf Raketen in der Stadt niedergegangen waren. Ich bin dann in der Nacht zum Sonntag letzter Woche noch einmal nach Beer Sheva zurückgekehrt und bis Montagmittag geblieben, um ein paar Sachen zu holen und nachzusehen, ob noch alles da ist. In dieser Zeit gab es keine Raketenangriffe. Als ich am Bahnsteig stand und auf den Zug wartete, sah ich einen aus Gaza kommenden Black-Hawk-Hubschrauber, der, da bin ich sicher, verwundete Soldaten an Bord hatte. Sie werden in einem Krankenhaus ganz in der Nähe meines Studentenwohnheims behandelt.

Zwei Tage zuvor hatten palästinensische Terroristen drei Raketen von der libanesischen Grenze aus abgefeuert. Sie landeten in Nahariya im Norden Israels – etwa zwei Kilometer von Sheve Tzion entfernt, wo ich mich aufhielt. Es gab keinen Roten Alarm. Als die ersten drei Raketen einschlugen, schlief ich. Kurz darauf gab es dann einen – allerdings falschen – Alarm. Das Haus meines Freundes in Nahariya hat keinen Bombenschutzraum, es hat noch nicht einmal einen Keller. Wir kauerten während des Alarms im Hausflur: er, seine Mutter, seine Schwester und ich. Seine Mutter war der Hysterie nahe, weil ihr Hund irgendwo da draußen herumsprang. Das Haus bietet so gut wie keinen Schutz; eine Katjuscha-Rakete würde es durchschneiden wie ein Delfin das Wasser. Wir vier müssen ein ziemlich armseliges Bild abgegeben haben, wie wir da hockten, voller Angst, gegen die Wand gelehnt. Nadavs Dogge heulte gemeinsam mit der Sirene.

Das Schlimmste während des Alarms ist das Warten. Normalerweise vergehen ein paar Sekunden zwischen dem Ende des Alarms und dem Einschlag der Rakete. Diese Sekunden sind furchtbar, eine Ewigkeit scheint zu vergehen, während man auf das „BUMM!“ – oder Schlimmeres – wartet. Und man muss vorsichtig sein: Selbst nach dem ersten Knall kann man seinen Schutzraum nicht verlassen, denn manchmal feuern die Terroristen in schneller Folge gleich mehrere Raketen ab, um das Warnsystem auszutricksen. Wenn man zu früh seinen Schutzraum verlässt, läuft man Gefahr, verletzt oder getötet zu werden.

Nach den Angriffen auf Nahariya entschieden Nadav und ich: Scheiß auf die Raketen! Wir kauften uns in einem Supermarkt jeder ein Bier und gingen zum nahe gelegenen Strand. Wir saßen still am Ufer und genossen unser Bier, während wir die Grenze zum Libanon sehen konnten, die nur zwanzig Kilometer entfernt liegt. Wir sahen, wie in einiger Distanz ein israelisches Kriegsschiff gerade die Küste verließ.

Es ist sehr interessant zu beobachten, wie die Menschen um mich herum mit der außergewöhnlichen Belastung durch die Raketenangriffe umgehen. Einer meiner Mitbewohner in Beer Sheva, ein groß gewachsener georgischer Jude, ging nach dem ersten Raketenangriff, den wir gemeinsam erlebten, stoisch vom Schutzraum zurück zur Küche und bereitete ein großes Abendessen zu, ganz für sich alleine. Am folgenden Morgen, nachdem die nächsten fünf Raketen eingeschlagen waren, sah ich, wie er eine riesige Melone in Stücke schnitt. Nadav wiederum wird unmittelbar nach einem Angriff depressiv, aber das scheint sich nach einigen Stunden zu legen.

Während der Raketenangriffe, während des Luftalarms bin ich gelangweilt-apathisch; ich bete nicht, ich spüre keine Furcht, ich spüre keine Angst, ich spüre gar nichts, ich warte nur. Nach den Angriffen habe ich einen gewaltigen Adrenalinschub, dem eine seltsame, fast schon perverse Euphorie folgt. Ein paar Stunden später fühle ich mich sehr depressiv und ärgere mich grundlos über alles. In dieser Zeit erlebe ich plötzlich die Angst, die ich eigentlich während der Raketenangriffe hätte haben sollen. Normalerweise wache ich am nächsten Tag auf, und es geht mir besser.

Ältere Menschen scheinen irgendwie weniger aufgeregt zu sein. Nadavs Großvater, ein groß gewachsener, faltiger Mann von etwa achtzig Jahren, verhielt sich, als ob auf die Attacken gleich Chanukka gefolgt wäre. Er hat in der Palmach und im Unabhängigkeitskrieg gekämpft, er wurde in einem Kibbuz hier in Israel geboren, seine Hände sind groß und rau und sehen aus, als wären sie aus Stein. Vor und nach den Angriffen widmet er sich der Gartenpflege. Nadav hat mir erzählt, dass sein Großvater während des zweiten Libanonkriegs im Garten arbeitete, während die Katjuschas über seinen Kopf hinweg nach Haifa flogen.

Gestern Abend habe ich mich auf dem Weg von der Synagoge nach Hause mit einer etwa sechzigjährigen Frau unterhalten, deren Mutter vor 36 Jahren von palästinensischen Terroristen ermordet worden war. Sie sagte, sie habe große Angst vor Raketenangriffen und Terrorismus gehabt, als ihre Kinder noch klein waren. Nun aber, da ihre Kinder erwachsen sind, sei das anders: „Ich kümmere mich nicht mehr darum. Gott ist mit uns.“

Übersetzung aus dem Englischen: Lizas Welt. Das Foto entstammt einer pro-israelischen Demonstration vom gestrigen Sonntag in Berlin. Aufgenommen wurde es von Just/Just.Ekosystem.org, an den ein herzliches Dankeschön dafür ergeht.

9.1.09

Wieder kein Flächenbrand?



Entschließt sich Israel zu Militärschlägen, heißt es in Politik und Medien regelmäßig, nun drohe die Gefahr eines „Flächenbrandes im Nahen Osten“. Der bleibt dann zwar genauso regelmäßig aus, doch das hindert niemanden daran, die These bei nächster Gelegenheit wieder hervorzukramen; so auch jetzt. Wer sie aber ernst meint, müsste zumindest die Frage beantworten können, wo denn bereits ein Fanal gesetzt worden ist, das sich zu einem raumgreifenden Feuer ausweiten könnte. Vielleicht in der West Bank, da, wo man es zuerst vermuten könnte? Nein – ganz im Gegenteil: In Ramallah und Nablus, Qalqiliya und Jenin ist es erstaunlich ruhig. Warum das so ist, hat sich Khaled Abu Toameh in der Jerusalem Post gefragt; David Hazony hat den Beitrag gelesen und für Contentions, das Weblog des Commentary Magazine, seine Schlüsse daraus gezogen. Lizas Welt hat Hazonys Text ins Deutsche übersetzt.


Warum ist die West Bank ruhig?

VON DAVID HAZONY


Khaled Abu Toameh, der für die Jerusalem Post aus Ramallah schreibt, wirft ein Schlaglicht auf die anderen Palästinenser: die in der West Bank. Während zehntausende Demonstranten sowohl in Europa als auch in arabisch-israelischen Orten wie Sakhnin und Um el-Fahm Israel an den Pranger stellen, ziehen Protestveranstaltungen in der von der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) kontrollierten West Bank bislang allenfalls jeweils ein paar hundert Menschen an. Und das, obwohl der Hamas-Führer Khaled Mashaal zu einer „dritten Intifada“ aufgerufen hat. Warum ist das so? Abu Toameh hat eine Reihe von Antworten anzubieten. Hier ist die erste:
„Ein Grund hängt mit den durchgreifenden Maßnahmen der Sicherheitskräfte des PA-Präsidenten Mahmud Abbas in der West Bank zusammen. Die PA hat Pro-Hamas-Demonstrationen verboten; Palästinenser, die mit Hamas-Fahnen erwischt wurden, sind entweder verprügelt oder festgenommen worden.“
Das ist verständlich, nicht wahr? Mahmud Abbas ist in Sorge, dass zu viel Unterstützung für die Hamas sein Regime unterminieren würde und es womöglich gar zu einem Umsturz käme, ähnlich dem, der die Hamas in Gaza an die Macht brachte. Aber Moment mal: Was ist mit der berühmten „arabischen Straße“? Sind die Palästinenser nicht außer sich vor Wut über Israels mutwilliges Töten von Kindern in Gaza? Gut, die Demonstranten in der West Bank dürfen zwar nicht die Hamas unterstützen – aber sollte man nicht trotzdem weit verbreitete Riots, Gewalt gegen israelische Soldaten oder massive Proteste gegen Israel erwarten? Noch einmal Abu Toameh:
„Ein anderer Grund für die relative Ruhe hat damit zu tun, dass einige Palästinenser der Hamas die Schuld für die jüngste Gewalteskalation geben. Sie sind davon überzeugt, dass die Hamas für das Elend der Palästinenser im Gazastreifen verantwortlich ist, weil sie sich geweigert hat, den Waffenstillstand zu verlängern, und weiter Raketen auf Israel geschossen hat. Es ist auch möglich, dass die Bewohner der West Bank inzwischen spüren, dass sie mehr zu verlieren haben, wenn sie bei der Gewalt Zuflucht suchen. In den letzten beiden Jahren hat sich die wirtschaftliche Situation deutlich verbessert, nachdem die internationale Gemeinschaft die finanzielle Unterstützung der PA wieder aufgenommen hat. Im Gegensatz dazu hat sich die Lage im Gazastreifen auf fast allen Ebenen deutlich verschlechtert, seit die Hamas dort die volle Kontrolle übernahm.“
Die große Mehrheit der Palästinenser empfindet den Krieg in Gaza demnach nicht als etwas, wogegen sich ein Protest lohnen würde. Folgt man dieser Theorie, dann kennen die Palästinenser die Alternativen, sie wissen, wer Schuld hat, und begreifen, dass es auch einen anderen Weg gibt, als das Leben in selbstmörderischer Unterstützung fanatischen Terroristen zu widmen. Diese Theorie könnte stimmen, aber auch falsch sein. Möglicherweise liegt die erste Antwort näher: Die Palästinenser protestieren deshalb nicht, weil man ihnen gesagt hat, dass sie es nicht sollen, und sie tun immer, was man ihnen sagt.

All das lässt in Bezug auf die Palästinenser eine kleine Zahl von Antworten möglich erscheinen, von denen mindestens eine stimmen muss, aber keine wirklich zum antiisraelischen Narrativ passt. Es ist denkbar,
  1. dass die „arabische Straße“ ein Mythos ist und gewalttätige Proteste immer von oben befohlen werden, sogar angesichts so genannter israelischer Gräueltaten;
  2. dass die Palästinenser in der West Bank zu verstehen beginnen, dass der Verzicht auf Terror und Gewalt womöglich ernsthafte Vorteile mit sich bringt;
  3. dass die Zerstörung des Hamas-Regimes nicht nur für den Westen und die ihn stillschweigend unterstützenden Ägypter von Vorteil ist, sondern auch für die meisten Palästinenser, sogar um den Preis von Opfern unter der Zivilbevölkerung;
  4. dass die nationale Identität der Palästinenser erheblich schwächer ist, als wir bislang angenommen haben, und dass die Bewohner der West Bank eher gewillt sind, ihre regionale Regierung und den regionalen way of life zu unterstützen als ihre Brüder in Gaza.
Das sollten die Mächtigen der Welt zur Kenntnis nehmen.

Das Foto entstammt einer Pro-Hamas-Demonstration in Manhattan am 28. Dezember 2008. In Ramallah wurden am gleichen Tag Einheimische beim Konsumieren zionistischer Fruchtsäfte gesehen. Die Parole scheint also nicht bei allen Palästinensern konsensfähig zu sein.

7.1.09

Das „Kana-Massaker“ der Hamas?



Es war abzusehen, dass irgendwann im Verlauf der Operation Gegossenes Blei der Tag kommen würde, an dem die Medien hierzulande endlich das Ereignis präsentieren, mit dem sie Israel endgültig des planvollen, kaltblütigen Mordes an unschuldigen Zivilisten überführen zu können glauben. Nun scheint es so weit zu sein: Ein Angriff der israelischen Armee auf eine Schule der Vereinten Nationen in Djabalija im Norden des Gazastreifens hatte zwischen drei und 42 Tote – die Angaben schwanken erstaunlich stark – zur Folge. Der Fall scheint auf den ersten Blick klar: Bis zu 1.000 Flüchtlinge hielten sich in der Schule auf, die vom Uno-Palästinenserhilfswerk UNRWA betrieben wird, und wurden dort mit Decken, Essen und Trinkwasser versorgt, als die IDF ohne Rücksicht auf Verluste zur Attacke blies. Das zumindest haben palästinensische Journalisten Spiegel Online gegenüber behauptet. „Die Leute campieren in den Schulen, weil sie sich in Uno-Gebäuden sicher fühlen. Auf dem Dach sind mit großen blauen Lettern Markierungen angebracht, die auch aus großer Höhe zu sehen sind. Die Israelis wissen genau, wo die Uno-Schulen liegen. Wir übermitteln ihnen sogar die GPS-Daten unserer Gebäude.“ Das wiederum hat UNRWA-Sprecher Adnan Abu Hasna zum selben Medium gesagt. Und auch der Leiter der Uno-Vertretung in Gaza, John Ging, hat sich geäußert: „Niemand ist sicher im Gaza-Streifen. Alle hier sind terrorisiert und traumatisiert.“ Wer wollte also daran zweifeln, dass die israelische Armee da ein veritables Kriegsverbrechen begangen hat?

Vielleicht ist die Angelegenheit aber doch nicht so eindeutig, wie es zunächst scheint. Denn einem Bericht der Jerusalem Post und Angaben der IDF zufolge hatte die Hamas von der Schule aus israelische Soldaten mit Mörsergranaten beschossen, bevor diese das Feuer erwiderten. Unter den Getöteten hätten sich auch die Hamas-Funktionäre Immad Abu Askar und Hassan Abu Askar befunden. Das Gebäude sei von der Hamas mit Sprengfallen versehen worden; deren Explosion habe dann zum Tod zahlreicher Menschen in der Schule geführt. Die Armee präsentierte zudem ein Video aus dem Jahr 2007, das zeigt, wie Terroristen just diese UN-Einrichtung zur Abschussvorrichtung umfunktionieren. Ein Armeesprecher sagte denn auch: „Die Hamas hat bereits in der Vergangenheit aus Schulen heraus auf Israel und seine Truppen geschossen und dabei auf zynische Art Zivilisten missbraucht.“ Von alledem war in den meisten deutschen Medien jedoch allenfalls am Rande die Rede, und das, obwohl die Darstellung der IDF der Version der palästinensischen Journalisten und der UN-Sprecher elementar widerspricht, was zumindest zu einer gewissen journalistischen Zurückhaltung hätte führen müssen. Aber man wollte den palästinensischen Quellen ganz offensichtlich lieber Glauben schenken als den israelischen.

Dabei könnten Ulrike Putz & Co. sehr wohl wissen, was noch nicht einmal die Hamas selbst bestreitet: Die Terroristen benutzen Bildungseinrichtungen, Kindergärten, Krankenhäuser und Moscheen als Waffen- und Raketendepots; bereits mehrfach erklärten sich so auch die heftigen Folgeexplosionen nach einem Beschuss von Gebäuden durch die israelischen Streitkräfte. Die Hamas verschanzt sich in diesen Einrichtungen und in Wohnvierteln, sie schreckt nicht einmal davor zurück, Kinder als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen, weil sie auf die Manschetten der Israelis vertraut, die sie selbst nicht kennt. Sie verstößt damit übrigens auch gegen den Artikel 58 a-c der Genfer Konvention, der dazu verpflichtet, Zivilisten im Kriegsfall von militärischen Einrichtungen fernzuhalten, diese Einrichtungen nicht in der Nähe von dicht bevölkerten Wohngebieten zu errichten und auch sonst alles zu tun, um die Zivilbevölkerung zu schützen. Die Hamas ist es, die die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilisten gewaltsam aufgehoben hat: Jeder Jude ist für sie ein legitimes Angriffsziel, jeder Muslim ein Gotteskrieger und potenzieller Märtyrer im Kampf gegen den zionistischen Feind. Angesichts dessen ausgerechnet Israel den Vorwurf der Unverhältnismäßigkeit zu machen, ist geradezu grotesk.

Sollten die Angaben der IDF zu dem Vorfall in Djabalija stimmen – und dafür spricht erheblich mehr als für die Aussagen der palästinensischen Journalisten und der palästinensischen UN-Mitarbeiter –, dann gingen die in der Schule Getöteten einmal mehr eindeutig auf das Konto der Hamas; zudem müsste sich die UNRWA – nicht zum ersten Mal – einige sehr deutliche Fragen gefallen lassen. Doch die meisten Medien hierzulande verfahren nach dem Leitsatz, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Fast schon genüsslich zogen beispielsweise Ulrike Putz und Yassin Musharbash auf Spiegel Online einen Vergleich zu „einem ähnlich blutigen Ereignis aus dem Libanon-Krieg 2006“: „Am Ende der dritten Kriegswoche schoss die israelische Luftwaffe im südlibanesischen Dorf Kana damals auf ein Haus, in dem eine Großfamilie Zuflucht gesucht hatte. In ersten Berichten war damals von knapp 60 Toten die Rede, schließlich wurden 28 zivile Opfer gezählt. 16 von ihnen waren Kinder. Kana löste 2006 weltweit einen Sturm der Entrüstung aus, der Israel zum Einlenken zwang: Einen Tag nach dem fatalen Angriff rief Jerusalem eine 48-stündige Waffenruhe aus, die den Bewohnern des Südlibanons die Flucht aus dem Kriegsgebiet ermöglichen sollte. Nicht nur in der öffentlichen Wahrnehmung wurde Kana damit zu einem Wendepunkt des Krieges.“ Und weiter: „Auch die internationalen Bemühungen um einen Waffenstillstand gewannen nach Kana deutlich an Fahrt. Die Attacken auf die Schulen in Djabalija könnten nun einen ähnlichen Effekt haben.“

Die Parallelen zwischen Djabalija und Kana sind tatsächlich nicht von der Hand zu weisen – allerdings aus anderen Gründen, als Putz und Musharbash glauben. Bis heute ist längst nicht eindeutig geklärt, was genau in Kana geschah; dass das Ganze seinerzeit eine propagandistische Inszenierung der Hizbollah war – wer erinnert sich nicht an den sagenhaften „Green Helmet“ (Foto)? –, ist jedoch alles andere als abwegig. Auch damals diente ein angegriffenes Gebäude den Islamisten offenbar als Waffenversteck, auch damals wurden aller Wahrscheinlichkeit nach Zivilisten von den Gotteskriegern als Kanonenfutter missbraucht. Zudem gab es eine Reihe weiterer Ungereimtheiten, an denen die Medien jedoch wenig Interesse zeigten. Clemens Wergin – eine der rühmlichen Ausnahmen von der journalistischen Regel – zog seinerzeit ein Resümee, das auch zu den Ereignissen in Djabalija perfekt passen würde: „Der tragische Vorfall macht deutlich, dass Terroristen eigentlich nur Vorteile daraus haben, aus bewohnten Gebieten heraus zu operieren. Schreckt der Gegner vor Angriffen zurück, um Zivilisten zu schonen, machen sich die Extremisten unangreifbar. Werden die Extremisten angegriffen, können sie die Toten für ihren Propagandakrieg benutzen. Die Weltöffentlichkeit wird auch diesmal die Israelis für die vielen Toten verantwortlich machen und nicht etwa die Hizbollah, die Zivilisten als Geiseln ihrer Militäraktionen genommen hat.“ Folgerichtig warnte nun der israelische Radiokorrespondent Gal Berger: „Es besteht die Gefahr, dass die Hamas hier ihr Kana-Massaker konstruiert. Die israelische Armee muss alles tun, um das zu verhindern.“

Allein: Ihre Möglichkeiten dazu sind begrenzt. Auf ihre eigene Art sind die Verstocktheit und die Faktenresistenz der meisten europäischen Medien und Regierungen ähnlich hartnäckig wie die Hamas. Nicht auszuschließen deshalb, dass der diplomatische Druck auf Israel nun deutlich stärker wird als bislang, obwohl für die Forderung nach einer sofortigen Waffenruhe auch nach den Geschehnissen in Djabalija aus den genannten Gründen kein Anlass besteht. Eine solche Waffenruhe würde zudem vor allem der Hamas nützen – und die hätte es dann einmal mehr geschafft, mit ihrem eiskalt kalkulierten Vorgehen auch noch eine Verschnaufpause gewährt zu bekommen.

6.1.09

Die Logik der Nahostexpertokratie



„Nahostkorrespondent“ zu sein oder als „Nahostexperte“ gehandelt zu werden, ist ein höchst einträgliches Geschäft. Und es ist absolut krisensicher, weil die Krise da unten nie in die Krise gerät und es hier oben immer welche gibt, die hören oder lesen wollen, was die Gründe für die Krise sind. Wenn aus der Krise dann ein Krieg wird – was, bei Lichte betrachtet, ziemlich oft der Fall ist –, erfährt die Nahostexperterei sogar noch einen konjunkturellen Aufschwung, von dem fast alle anderen Berufszweige nur träumen können. Ausgesprochen vorteilhaft für die „Nahostkorrespondenten“ und „Nahostexperten“ ist dabei auch, dass sie den tiefen Teller nicht jedes Mal neu erfinden müssen. Es genügt, wenn sie ihrem Publikum das erzählen, was sie ihm schon immer erzählt haben und was es von ihnen auch erzählt bekommen will. Allenfalls müssen hin und wieder ein paar Details aktualisiert werden, aber das erledigen die Steinbachs und die Putzens, die Lüdersse und die Kühntopps, die Paechs und die Watzals ganz lässig zwischen Morgentoilette und Milchkaffee.

Bezogen auf den Krieg in Gaza lautet deren Muster etwa so: Israel geht „unverhältnismäßig“ vor wie eh und je, dreht mal wieder an der „Gewaltspirale“ und beschwört die Gefahr eines „Flächenbrandes“ herauf; die Kassam-Raketen sind im Grunde nicht viel mehr als frisierte Feuerwerkskracher; die Bomben gegen die Hamas radikalisieren die armen, perspektivlosen und frustrierten Palästinenser nur noch mehr; ein sofortiger Waffenstillstand und Verhandlungen „auf Augenhöhe“ müssen her; Israel braucht sich bloß aus den besetzten Gebieten zurückzuziehen, und schon herrscht ein nachgerade paradiesischer Frieden in Nahost, ach was: auf Erden. Aus dieser nur scheinbaren Äquidistanz hört und liest man die Schuldzuweisung an den jüdischen Staat und die oft gar nicht so heimliche Parteinahme für dessen Feinde problemlos heraus. Und was sich diese Damen und Herren Experten in den Medien nicht gar so offen zum Ausdruck zu bringen getrauen, sagen dafür andere Damen und Herren Experten auf Weblogs, in Internetforen oder auf der Straße umso unverblümter: Der Jud’ ist schuld und muss weg, mitsamt seinem Staat.

Dass die Hamas exakt das in ihr Programm geschrieben hat und auch gar keinen Hehl daraus macht, will kaum jemand wissen noch wahrhaben und schon gar nicht sagen oder schreiben. Wie es deshalb um die argumentative Stringenz und die Logik der Nahostexpertokratie bestellt ist, sieht man besonders schön, wenn man sich einmal die Mühe macht, die heutigen Erklärungsmuster auf jene Zeit zu übertragen, als die erklärten Vorbilder der Hamas gerade am Werk waren und sich schließlich einer Allianz gegenübersahen, die mit Nachdruck versuchte, zivilisatorische Mindeststandards wiederherzustellen. Der freie Journalist Stefan Frank hat sich dieser Mühe unterzogen. Herausgekommen ist der nachfolgende Gastbeitrag für Lizas Welt.


Wie ein Hamas-Versteher die weltpolitische Lage Ende 1944 kommentieren würde

VON STEFAN FRANK


Schon einmal, von 1914 bis 1918, hat Großbritannien gegen Deutschland Krieg geführt. Deutschland blieb im Felde unbesiegt, und langfristige Stabilität wurde nicht erreicht, wie die Ereignisse seit 1939 zeigen. Aber die britische Regierung hat daraus nichts gelernt. Mit völlig unverhältnismäßigen Bombardements in dicht besiedelten Gebieten reagiert sie darauf, dass in London immer wieder primitive selbstgebaute V2-Raketen niedergehen, die zwar Angst und Schrecken verbreiten, aber kaum Schäden anrichten.

Doch auch mit brachialer Gewalt kann Großbritannien diesen Krieg nicht gewinnen. Denn selbst wenn es gelänge, die gesamte Führungsebene der NSDAP auszuschalten, wäre die Organisation noch lange nicht am Ende. Es stehen genug frustrierte, radikalisierte junge Männer bereit, um die Plätze von getöteten NSDAP-Mitgliedern einzunehmen. Die NSDAP ist keine Terrorgruppe, sondern eine Massenorganisation, die Wohlfahrtseinrichtungen betreibt und durch Wahlen legitimiert wurde. Auch ein vollständiger Stopp des Beschusses Großbritanniens ist nach Meinung von Experten nur kurzfristig zu erreichen. Zwar schwäche die Offensive die Infrastruktur der NSDAP, aber langfristig werde sie wieder in der Lage sein, Raketen auf britisches Gebiet abzufeuern.

„Es wird keinen Sieger in diesem Krieg geben“, fasste ein Europaexperte seine Einschätzung der Lage zusammen. „Die NSDAP wird kurzfristig den Raketenbeschuss einstellen und sich dann rächen – vielleicht sogar mit Selbstmordanschlägen in Großbritannien.“ Profitiert von der britischen Offensive haben bis jetzt nur die extremistischen Organisationen in ganz Deutschland. Durch den Krieg werden die gemäßigten Kräfte innerhalb der NSDAP geschwächt, während die radikalen neue Anhänger dazu gewinnen.

Ein sofortiger Waffenstillstand ist notwendig. Adolf Hitler und Rudolf Heß haben in der Vergangenheit angedeutet, dass sie unter bestimmten Bedingungen dazu bereit sind. Einen langfristigen Frieden in Europa kann es indessen nur geben, wenn Großbritannien sich aus den deutschen Kolonien zurückzieht und die soziale und wirtschaftliche Lage in den Deutschengebieten entscheidend verbessert. Nur aus Verzweiflung über das an ihnen jahrzehntelang begangene Unrecht haben die Deutschen einen Weltkrieg begonnen. Das muss London endlich einsehen.

Das Bild entstammt einer Demonstration von Hamas-Sympathisanten in Berlin am 3. Januar 2009.

5.1.09

I will survive (I)



Nachdem die Hamas den sechsmonatigen „Waffenstillstand“ mit Israel dazu genutzt hatte, Raketen mit größerer Reichweite zu entwickeln, schlugen am 30. und 31. Dezember letzten Jahres insgesamt fünf dieser Geschosse in Beer Sheva ein, einer 200.000 Einwohner zählenden Stadt im nördlichen Negev. Eine Rakete traf eine Schule, eine weitere einen Kindergarten. Die in Beer Sheva lebende Ruth Bracha hat auf ihrem Weblog bereits ausführlich über diese Terroranschläge berichtet [1], [2], [3]. Auch Tzion Godfrey, der aus West Virginia stammt und an der Ben-Gurion-Universität in Beer Sheva studiert, wurde Zeuge der Raketenangriffe. In einer am Silvestertag verfassten E-Mail an seine Freunde schildert Godfrey eindringlich, wie er mit den Attacken umgeht und warum er jetzt erst recht in dieser Stadt bleiben will. Mit freundlicher Genehmigung des Autors veröffentlicht Lizas Welt nachfolgend Godfreys Brief.


VON TZION GODFREY

Gestern Abend saß ich um etwa 21.30 Uhr mit zwei israelischen Mitbewohnern aus Ashdod in meinem Zimmer im Studentenwohnheim. Einer der beiden zeigte mir – was für eine Ironie der Geschichte – Bilder von einer Fahrt nach Auschwitz, als plötzlich ein durchdringend lauter Heulton durch Beer Sheva ging. Wir schauten uns ein, zwei Sekunden lang erschrocken an, dann schrie ich, obwohl die beiden gleich neben mir saßen: „Das ist der Luftalarm!“ Wir liefen aus dem Raum, während die Sirene weiter heulte. Ich hämmerte an die Zimmertür unseres vierten Mitbewohners.

Das Treppenhaus war bereits voll mit Leuten, die in den Bombenschutzraum hinunter rannten. Bei Tzeva Adom (Roter Alarm) haben wir 45 Sekunden Zeit, um diesen Schutzraum aufzusuchen, wenn eine Grad-Rakete im Anflug ist; bei Kassam-Raketen sind es 60 Sekunden. Nach etwa 30 Sekunden hörte ich, während ich die Treppen hinabstieg, zweimal ein entferntes, eindeutiges Knallen: Die Raketen waren im Westen Beer Shevas eingeschlagen. Etwa hundert von uns standen im Bombenschutzraum und redeten aufgeregt miteinander. Es war der vierte Terrorangriff, seitdem ich in Israel bin, aber bislang war noch keiner so nahe. Ich hatte zwar keine Angst, aber ich konnte nicht ruhig stehen bleiben. Das Adrenalin jagte durch meinen Körper.

Als der Alarm vorüber war, eilte ich ins benachbarte Wohnheim zu meinem Freund Nadav. Das Haus, in dem er lebt, ist nur ungenügend gegen direkte Raketentreffer geschützt, deshalb sollte er bei mir übernachten – die Wände unseres Wohnheims bestehen aus 15 Zentimeter dickem Beton. Als wir im Wohnheim ankamen, fühlte ich mich ausgelaugt und vollkommen erschöpft, so, als hätte ich an einem Marathonlauf teilgenommen.

Heute früh wurde ich um 8.30 Uhr durch einen erneuten Luftalarm geweckt, genau wie Nadav, der zu mir sagte: „Los, Tzion!“ Wiederum liefen alle hinunter in den Bombenschutzraum. Dieses Mal hatten wir 60 Sekunden Zeit. Ich hörte – besser gesagt: ich fühlte – ein sehr, sehr tiefes und intensives „BUMM!“, ganz in der Nähe. Nach einigen Minuten verließen wir den Schutzraum wieder. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite liegt der Campus der Universität. Dahinter sah ich eine Wolke aus Staub und Rauch. Wir gingen zurück in mein Zimmer, um uns auf ein Seminar vorzubereiten, als es neuerlich einen Alarm gab und zwei weitere Raketen in Beer Sheva einschlugen. Nach diesen drei Raketentreffern sagte die Universität schließlich widerwillig alle Seminare ab.

Nadav versuchte verzweifelt, mich zu überreden, mit ihm in den Norden zu fahren, nach Nahariya. Zunächst weigerte ich mich beharrlich. Ich sah es als meine Pflicht Israel und mir selbst gegenüber an, an Ort und Stelle zu bleiben. Es gab einen weiteren Raketeneinschlag. Nadav sagte zu mir, ich solle endlich mitkommen. Meine Mitbewohner drängten darauf, die Stadt zu verlassen.

Ich habe nicht versucht, ein Macho zu sein. Ich hatte wirklich keine Angst. Ich wollte unbedingt bleiben. Die Aussicht, aus Beer Sheva zu verschwinden, machte mich traurig, ich fühlte mich schwach und geschlagen. Als wir die Stadt verließen, hörten wir wiederum den Alarm – die fünfte Rakete war im Anmarsch. Über uns flogen drei Black-Hawk-Hubschrauber auf Beer Sheva zu.

Jetzt bin ich im Norden, in Nahariya, außerhalb der Reichweite der Raketen. Aber ich will nach Beer Sheva zurückfahren, Raketen hin, Raketen her. Ich bin fest entschlossen. Ich werde weder mein Leben dort noch mein Studium aufgeben. Die Studentenwohnheime und die Universität sind aus dickem Beton. Es gibt 250 Bombenschutzräume in der Stadt. Nie war ich glücklicher, ein Jude zu sein, nie war ich glücklicher, in Israel zu sein. Jeder hier war ruhig, gefasst und bereit, anderen zu helfen. Es gab keine „Erwachsenen“; niemand musste nach uns sehen. Wir alle – Frauen und Männer, Juden wie Christen – waren Erwachsene, haben uns gegenseitig unterstützt und uns umeinander gekümmert.

Die Offensive im Gazastreifen geht weiter, und ich werde auf meine eigene Art helfen – so wenig das auch sein mag –, indem ich nicht vor der Furcht kapituliere, sondern weiter in Israel lebe. Ich bin froh, hier zu sein.

Übersetzung aus dem Englischen: Lizas Welt. Das Foto zeigt einen Bombenschutzraum in Beer Sheva.

4.1.09

Solidarität mit Israel!



Ari Shavit hat völlig Recht: „Die Operation ‚Gegossenes Blei’ ist eine intelligente, eindrucksvolle Operation“, schrieb er in der israelischen Tageszeitung Haaretz. „Das Überraschungsmoment war komplett, die Aufklärung der Geheimdienste war präzise, und das Timing war brillant. Die Tatsache, dass die Operation nach einer von der Hamas gebrochenen sechsmonatigen Waffenruhe gestartet wurde, gibt ihr politische Legitimität und moralische Rechtfertigung. Die Tatsache, dass sie sorgfältig geplant und ausgeführt wurde, hat ein Maß an Vertrauen in Israels Fähigkeiten wiederhergestellt.“ Seit dem Beginn von Gegossenes Blei vor acht Tagen wurden Hunderte von Terroristen getötet – darunter mehrere hochrangige Hamas-Führer –, Dutzende von Hauptquartieren und Munitionslagern zerstört sowie Tunnel gesprengt, durch die die Hamas Waffen und Munition geschmuggelt hatte. Am gestrigen Samstagabend haben die Verteidigungsstreitkräfte des jüdischen Staates ihre militärischen Aktivitäten intensiviert: Sie sind, unterstützt von der Marine, mit Panzerverbänden und Bodentruppen in den Gazastreifen vorgedrungen, um das Ziel der Operation – „einen direkten und harten Schlag gegen die Hamas auszuüben und die abschreckende Stärke der IDF zu erhöhen, um langfristig eine verbesserte und stabilere Sicherheitssituation für die Bewohner des südlichen Israels zu schaffen“ – besser und schneller zu erreichen.

Zugleich unternimmt Israel alles, um der Zivilbevölkerung im Gazastreifen nicht mehr Leid zuzufügen, als es in einer solchen Situation unvermeidlich ist: Etwa 400 Lastwagenladungen mit rund 10.000 Tonnen medizinischen Versorgungsgütern und Nahrungsmitteln wurden bislang auf Anfrage von internationalen Organisationen, den palästinensischen Behörden und verschiedenen Regierungen in den Gazastreifen geliefert. In israelischen Krankenhäusern werden verletzte Palästinenser behandelt. Mit Flugblättern, Anrufen und Textnachrichten auf Mobiltelefone warnt die israelische Armee Bewohner und Nachbarn von Gebäuden, gegen die Luftangriffe geflogen werden sollen. Und die Hamas? Sie beschießt Israel weiterhin mit Raketen und droht mit suicide attacks. Sie richtet angebliche „Kollaborateure“ hin, teilweise sogar in Krankenhäusern. Sie deponiert Waffen- und Munitionsvorräte in Kellern von Wohnhäusern und Moscheen. Sie platziert Raketenwerfer auf den Dächern von Schulen und Krankenhäusern. Sie bombardiert also die israelische Zivilbevölkerung, sie nimmt die eigene Zivilbevölkerung als Schutzschild und Geisel, und sie macht daraus auch gar keinen Hehl. Den sechsmonatigen „Waffenstillstand“, der nie einer war, hat sie vor allem dazu genutzt, ihr Waffenarsenal aufzufüllen und – mit tatkräftiger iranischer Unterstützung – Raketen zu entwickeln, die auch weiter entfernt liegende israelische Städte wie Ashdod und Beer Sheva erreichen können. Mittlerweile sind eine Million Israelis der Bedrohung durch Kassam- und Grad-Geschosse sowie Mörsergranaten ausgesetzt. Mehr als 4.000 davon wurden seit April 2001 aus dem Gazastreifen auf israelisches Gebiet abgefeuert, die weitaus meisten nach dem israelischen Abzug aus dem Gazastreifen im August 2005.

Dass diese Tatsachen von den üblichen Verdächtigen ignoriert oder verdreht werden, war ebenso abzusehen wie der hemmungslose antisemitische Furor, der sich nun wieder auf zahllosen Demonstrationen, im Internet und in den Medien Bahn bricht. Der Wiener Politikwissenschaftler Stephan Grigat brachte es auf den Punkt: „Was auch immer Israel tut, es ist und bleibt in den Augen großer Teile der Weltöffentlichkeit Schuld an Elend und Zerstörung in der Region. Halten sich die israelische Armee und jüdisch-israelische Siedler im Gaza-Streifen auf, gelten sie als Besatzungsmacht. Ziehen sie sich zurück, errichten sie ‚das größte Gefängnis der Welt’. Reagiert Israel auf die permanenten Angriffe aus dem Gaza-Streifen mit Sanktionen oder wie jetzt mit Gegenschlägen, dreht es an der ‚Gewaltspirale’, reagiert ‚unverhältnismäßig’ oder setzt seine ‚Auslöschungspolitik’ fort. Nimmt es den andauernden Raketenbeschuss tatenlos hin, wird das ‚zionistische Regime’ in arabischen und iranischen Zeitungen als ‚zahnloser Papiertiger’ verhöhnt, der nicht mal seine eigene Bevölkerung schützen könne.“ Würde Israel nun jedoch keine konsequenten Schritte gegen die Hamas unternehmen, so Grigat, „wäre es nur eine Frage der Zeit, bis die palästinensischen Moslembrüder über ein ähnliches Waffenarsenal verfügen würde wie der iranische Verbündete im Norden Israels: die Hizbollah“. Und noch einmal: „Die Hamas ist keine Organisation, die einen wie auch immer gearteten Kompromiss oder Ausgleich mit Israel anstrebt. Sie kämpft nicht für einen palästinensischen Staat an der Seite, sondern an der Stelle Israels. Und sie propagiert ganz offenen Antisemitismus.“

Sogar einige wenige europäische Politiker haben das inzwischen verstanden und positionieren sich auf der Seite des jüdischen Staates. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel etwa sagte kürzlich, die Verantwortung für die jüngste Entwicklung liege „eindeutig und ausschließlich“ bei der Hamas. Und der tschechische Regierungschef Mirek Topolanek, seit wenigen Tagen EU-Ratspräsident, nannte den Vorstoß der israelischen Armee in den Gazastreifen „eher defensiv“, weil der Verteidigung dienend.* Doch so wohltuend sich diese pro-israelischen Äußerungen von den geradezu obszönen, nur der Hamas dienlichen Rufen nach einem „sofortigen Waffenstillstand“ abheben, wie sie beispielsweise von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon und aus verschiedenen europäischen Regierungen zu vernehmen sind: Sie sind bislang folgenlos geblieben. Ihre wirkliche Substanz muss aber an Taten gemessen werden, wie sie beispielsweise durch eine erhebliche finanzielle Unterstützung Israels oder durch kostenlose Waffenlieferungen an den jüdischen Staat gegeben wären. Das jedoch zieht offenbar auch Merkel nicht in Erwägung, die sich zudem mit heftigen Angriffen aus dem eigenen Regierungslager konfrontiert sieht.

Die israelische Regierung lässt sich jedoch weder von der antisemitischen Raserei noch vom Ausbleiben echter Unterstützung aus Europa das Handeln diktieren. Noch-Premierminister Ehud Olmert, Außenministerin Tzipi Livni und Verteidigungsminister Ehud Barak haben deutlich gemacht, dass der israelische Staat das Leben seiner Bürger mit den erforderlichen Mitteln schützen und Kritik an seinen Maßnahmen in Kauf nehmen wird. Sie haben darüber hinaus wiederholt betont, dass kein politischer Souverän auf Dauer den Beschuss seines Staatsgebietes tatenlos hinnehmen kann. „Dass dies Israel aber zum Vorwurf gemacht wird“, analysierte Stephan Grigat treffend, „liegt daran, dass dieser Souverän als eine Art Jude unter den Staaten fungiert, auf den die anderen Souveräne ihre eigene gewaltsame Konstitution projizieren, während keineswegs nur deklarierte Antizionisten an ihm ihre antizivilisatorischen Ressentiments ausagieren“. Israels alternativloser Verteidigungskrieg gegen die Hamas ist auch ein Krieg gegen diese Ressentiments – und einer für zivilisatorische Mindeststandards, die mit der Hamas schlicht und ergreifend niemals zu haben sein werden.

Foto: Spirit of Entebbe

* Update 6. Januar 2008: Topolanek hat diese Aussage inzwischen widerrufen. Ob sein Sprecher tatsächlich eine Position referiert hatte, die er nicht referieren sollte, wie Topolanek sagt, oder ob der Druck anderer EU-Regierungen zum Dementi geführt hat, sei dahin gestellt.