31.5.06

Linksdraußen vor der Tür

Eine kleine Quizfrage zu Beginn: Von wem stammt das folgende Zitat?
„Der Hamas-Boykott ist ein Verbrechen!“
Hier die möglichen Antworten:
1. Von Gerhard Schröder.
2. Vom palästinensischen Flüchtlingsminister Atef Adwan.
3. Von den drei Bundestagsabgeordneten Hellmut Königshaus, Karl Addicks (beide FDP) und Detlef Dzembritzki (SPD).
4. Vom NPD-Parteivorsitzenden Udo Voigt.*
5. Von Norman Paech, Abgeordneter der Linkspartei und Völkerrechtler.

Eine echte Herausforderung, wie? Da Lizas Welt aber über keinen Werbeetat verfügt, gibt es ohnehin nichts zu gewinnen und deshalb die Lösung gleich hintendrein: Die letztgenannte Option ist richtig. Paech (Foto) war mit seinem Parteifreund Wolfgang Gehrcke auf Einladung der Meretz-Fraktion in der Knesset unlängst sechs Tage lang in Israel. Dort hätte man es gerne den Parlamentskollegen Königshaus, Addicks und Dzembritzki gleich getan und mit der Hamas zu Mittag gegessen – aber das ging dummerweise nicht, wie Paech klagte: „Mitglieder der Hamas konnten wir nicht treffen, da das Auswärtige Amt eine Kontaktsperre gegen sie verhängt haben. Eine Vermittlung war von daher nicht möglich.“ Genosse Gehrcke verriet der deutschen Propagandapostille der Hamas, junge Welt, noch einen weiteren Grund: „‚Die ganze israelische Linke’ und die Fatah hätten ihm davon ‚abgeraten’; Norman Paech ergänzte, er habe ‚keine Adressen’ potentieller Ansprechpartner gehabt.“ Fünf Euro ins Phrasenschwein, aber an diesem Kalauer gibt es kein Vorbei: Paech gehabt! Dennoch eigentlich seltsam, wo er der taz noch gesteckt hatte: „‚Peace Now’ und die so genannte Genfer Initiative lehnen den Boykott gegenüber der Hamas vollkommen ab und fordern Verhandlungen.“

Man muss im Grund genommen gar nicht allzu ausführlich auf den Ausflug der Linksparteiniks eingehen, denn sonderlich Überraschendes passierte nicht, und die Statements nach ihrer Rückkehr entsprechen ebenfalls Gewohntem und Bekanntem. Paech, den das Pfingsterlebnis einer Israelreise vor 38 Jahren erleuchtet, von seiner „Kollektivschuld“ befreit und „auf die Lage der Araber aufmerksam“ gemacht hatte, lobte die konstruktiven palästinensischen Demokraten – „Alle Parteien – Hamas, Fatah, PFLP und PDFLP – versuchen, den Konflikt auf eine vernünftige Basis zu stellen“ – und geißelte die „Blockadepolitik“ von Bundesregierung und Europäischer Union: „Der Boykott trifft die zunehmend verarmende Bevölkerung und nicht die Parteistrukturen der Hamas. Es ist vollkommen falsch, den Dialog mit der Hamas zu verweigern.“ Interessant ist in diesem Kontext schon eher, dass er einerseits den Abbruch der Beziehungen zu dem palästinensischen Regime für die schon seit Monaten erwartete, aber immer noch ausbleibende Hungerkatastrophe verantwortlich macht, andererseits aber unter Berufung auf die Fatah bemerkt: „Hamas hat genügend Gelder, so dass ein finanzieller Boykott nichts bewirkt.“ Doch ein solcher Widerspruch ist für einen erfahrenen Völkerrechtler gar keiner, denn die „Blockade“ treffe „nur die Bevölkerung – und die wird sich infolgedessen der Hamas eher zu- als abwenden“. Da die Terrortruppe jedoch versuche, „den Konflikt auf eine vernünftige Basis zu stellen“ und außerdem „bereit ist, Verhandlungen mit Israel aufzunehmen“, sieht Paech „den Widerspruch eher bei den Israelis als bei der Hamas“. Respekt vor dieser meisterlichen Gehirn- und Wahrheitsakrobatik noch im nicht mehr ganz jungen Alter!

Das ist nicht mehr zu toppen von Linksdraußen? Doch – vom inoffiziellen Botschafter der Hamas in Deutschland nämlich, nebenberuflich Chefkommentator der jungen Welt; in Anlehnung an sein großes Vorbild sei er hier Sudel-Werner genannt:
„Die Linkspartei hat wieder einmal eine große Chance verpasst, ein deutliches Zeichen gegen die imperialistische Außenpolitik der Bundesrepublik und für die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechtes der Völker zu setzen. Schlimmer: Sie war grundsätzlich nicht dazu bereit, sie zu nutzen. So fuhren der Linkspartei-Außenpolitiker Wolfgang Gehrcke und der Völkerrechtler Norman Paech für die Bundestagsfraktion Die Linke [...] nach Israel und Palästina, wo sie sich dem Boykott des Westens gegenüber der demokratisch gewählten palästinensischen Regierung angeschlossen haben, statt ihn zu brechen. [...] Einem Treffen mit Repräsentanten der Regierungspartei Hamas [...] gingen die beiden aus dem Weg [...] [W]ie links können Linke sein, die schon die minimalste Voraussetzung für das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes, die selbstbestimmte Wahl seiner Vertreter, nicht zu akzeptieren bereit sind?“
Exkommunikation! Das wird Paech, Gehrcke und ihre Gefolgschaft hart treffen. Denn sie haben alles, wirklich alles falsch gemacht. Dabei „hätten sie die Hamas immer noch mit dem westlichen Forderungskatalog – Anerkennung des Staates Israel, Gewaltverzicht und Einhaltung der bestehenden Verträge – konfrontieren können. So gesehen ist es vielleicht sogar besser gewesen, dass sie erst gar nicht versucht haben, die palästinensische Regierung mit solchen Zumutungen zu belästigen“. Richtig gelesen: Die Anerkennung Israels ist eine Zumutung. Und zwar deshalb:
„Warum soll die Hamas einen Staat anerkennen, der über die Palästinenser seit Jahrzehnten ein Unrechtsregime aufrechterhält und nicht bereit ist, sich selbst innerhalb international anerkannter Grenzen zu definieren? Warum sollte sie angesichts der illegitimen israelischen Gewaltherrschaft über die besetzten Gebiete einen einseitigen Gewaltverzicht erklären? Und welche von Israel gebrochenen Verträge sollte sie einhalten?“
Wer nicht fragt, bleibt dumm. Und wer so fragt, erst recht. Immerhin: Der finale Satz des Kommentars ist zu unterschreiben, abzüglich der letzten drei Wörter: „Deshalb gilt: Besser keine linke Nahost-Diplomatie als eine solche.“ Wo wir aber schon bei Fragen sind, bietet es sich allemal an, die nach dem Sinn und Zweck von Gesprächen mit der Judenmörderbande Hamas zu stellen. „Mit Nazis reden?“ rätselte schon Wiglaf Droste, vor fast dreizehn Jahren zwar und aus anderem Anlass; ein nicht geringer Teil seiner Ausführungen passt jedoch auch auf diese Causa prächtig. Denn um was handelt es sich bei Unterredungen mit Antisemiten? Um eine Form akzeptierender Sozialarbeit. Und dazu hatte Droste das Nötige zu sagen:
„Alle Welt sucht das Gespräch mit Rechtsradikalen. Warum? Haben sie einem etwas zu sagen? Ist nicht hinlänglich bekannt, was sie denken, fordern und propagieren? [...] Muss man an jeder Mülltonne schnuppern? Niemand wählt Nazis oder wird einer, weil er sich über deren Ziele täuscht – das Gegenteil ist der Fall; Nazis sind Nazis, weil sie welche sein wollen. [...] Das Schicksal von Nazis ist mir komplett gleichgültig; ob sie hungern, frieren, bettnässen, schlecht träumen usw., geht mich nichts an. Was mich an ihnen interessiert, ist nur eins: dass man sie hindert, das zu tun, was sie eben tun, wenn man sie nicht hindert: die bedrohen und nach Möglichkeit umbringen, die nicht in ihre Zigarettenschachtelwelt passen. Ob man sie dafür einsperrt oder sie dafür auf den Obduktionstisch gelegt werden müssen, ist mir gleich. [...] Wo Nazis ‚demokratisch’ gewählt werden können, muss man sie nicht demokratisch bekämpfen.“
Wenn von „bekämpfen“ im Zusammenhang mit der Linkspartei – und nicht nur mit ihr – überhaupt die Rede sein kann.

* In diesem Zusammenhang ein großes Kompliment an Google: Wenn man dort als Suchworte „NPD“ und „Parteivorstand“ eingibt, wird man gefragt: „Meinten Sie: SPD-Parteivorstand?“ Da denken wirklich mal welche mit.
Hattip: Ivo

30.5.06

Vereinsmeier

Bisweilen lohnt es sich, ältere Meldungen, Kommentare und Interviews hervorzukramen, vor allem dann, wenn sie von bleibendem Wert sind. Anfang 2005 führte die Jüdische Allgemeine mit dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder ein Gespräch, das diese Eigenschaft zweifelsfrei vorweist. „Können Satire und Ironie hilfreich sein, wenn es um die deutsch-israelischen Beziehungen geht?“, wurde er gefragt. „Ja, ich finde durchaus. Weil bei aller Ernsthaftigkeit man durch diese Form der Herangehensweise einen besonderen Zugang zu den Menschen bekommt“, entgegnete der Maximaldemokrat. Gestern lieferte Schröder neuerlich ein schönes Beispiel dafür ab, wie dieser „besondere Zugang zu den Menschen“ in seiner satirischen Form aussehen kann:
„In den USA und der EU gilt die Hamas als Terrororganisation – dennoch hat sich Altkanzler Schröder jetzt für Verhandlungen mit der radikal-islamischen Gruppierung ausgesprochen. Er hält den Boykott für falsch. Man müsse mit der demokratisch gewählten Hamas-Regierung in den Palästinenser-Gebieten verhandeln, sagte Altbundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) heute bei der Entgegennahme des Ehrenvorsitzes des Nah- und Mittelostvereins (NUMOV) in Berlin. Den Boykott der radikal-islamischen Hamas-Führung durch die EU und die USA hält Schröder für falsch. Gleichzeitig kritisierte Schröder indirekt das Vorgehen der israelischen Führung: Deren Pläne für eine ‚einseitige Grenzziehung’ seien nicht der richtige Weg.“
Ein Schenkelklopfer, was? Nur ist das gar keine Büttenrede gewesen, sondern eine Ansprache anlässlich der Würdigung durch eine Organisation, deren Name – Nah- und Mittelostverein (NUMOV) – bereits recht unverhohlen das Lobbying für den arabischen Raum verrät, das man betreibt und das auf der eigenen Internetseite so umschrieben wird: „Wir unterstützen seit mehr als 70 Jahren Mitgliedsfirmen beim Auf- und Ausbau von Geschäftskontakten in Ländern der Region. Neben Informationen aus erster Hand bieten wir unseren Mitgliedern exzellente Möglichkeiten für Geschäftsanbahnungen und Networking.“ Und das seit exakt 72 Jahren – also seit 1934. Ein Schelm, wer Arges dabei denkt, nicht wahr? Der Zweck der Gründung eines solchen Klubs – der ursprünglich Orient-Verein hieß – wird vom NUMOV selbst jedenfalls so auf den Punkt gebracht (Seite 7):*
„Nachdem frühere Versuche Deutschlands, wirtschaftliche Beziehungen zum Orient aufzubauen, auf einzelne Länder beschränkt geblieben waren, sollte die Gründung des ‚Orient-Vereins’ die Bündelung der deutschen Wirtschaftsinteressen in der Region bewirken. Eine der wichtigsten Aufgaben des Vereins bestand darin, die Exportmöglichkeiten für deutsche Unternehmen in die Länder des ‚Orients’ zu verbessern. Der Wert der Güter, die Deutschland aus dem Orient bezog, überstieg bei weitem die deutschen Exporte in die Region.“
Wie diejenigen, die im seinerzeitigen Staatsapparat ebenfalls an der „Bündelung der deutschen Wirtschaftsinteressen in der Region“ arbeiteten, das Verbessern von „Exportmöglichkeiten für deutsche Unternehmen in die Länder des ‚Orients’“ – explizit genannt werden vom NUMOV Afghanistan, Saudi Arabien, Ceylon, Ägypten, Palästina, Persien, Britisch Indien, Transjordanien, Syrien/Libanon, Irak, Türkei und die Arabischen Länder; 1938 kamen noch die Arabische Halbinsel und Zypern hinzu (S. 11) – ganz konkret und handfest umsetzten, davon zeugten nicht nur das freundliche Gespräch des Führers mit dem Großmufti von Jerusalem, Hadj Amin al-Husseini, sondern auch die Wehrmacht und die SS, die für die gewaltsame Durchsetzung der neuen Rahmenbedingungen zuständig waren.

Erster Vorsitzender des Vereins wurde Hermann Reyss, Siemens-Direktor und damit kein Leichtgewicht; die Aufzählung der weiteren Vorstandsmitglieder und ihrer Unternehmen – darunter auch Heinrich Gattineau und Hermann Waibel von der Judenmörderfirma IG Farben – liest sich wie ein Who’s who? der Vernichtungsprofiteure und Arisierungsgewinnler; von der Dresdner Bank über die Allianz bis zur Deutschen Bank fehlt praktisch niemand (S. 8f.). Man rühmt sich beim NUMOV seiner Erfolge in der Zeit des Nationalsozialismus, ohne diesen auch auch nur zu erwähnen. Und die Förderung der Beziehungen zum Iran waren schon seinerzeit ein echtes Anliegen (S. 13):
„Am 29. April 1936 rief Dr. Hesse die Deutsch-Iranische Handelskammer ins Leben, zu deren Präsident Geheimrat Hans Flach bestellt wurde. Sie trat in die Reihe bereits früher bestehender bilateraler Vereinigungen und nahm sich vor allem des wirtschaftlichen Austausches zwischen beiden Ländern an. Sie vermittelte noch im selben Jahr den Auftrag für ein deutsch-iranisches/iranisch-deutsches Wörterbuch. Schon nach kurzer Zeit konnte die Kammer durch ihre Kenntnisse und ihr Engagement maßgeblich dazu beitragen, dass lukrative Abkommen zwischen der deutschen Industrie und dem Iran zustande kamen.“
Heute muss man kein Nachschlagewerk mehr kreieren, um die ökonomische Zusammenarbeit zu optimieren; das Ganze ist längst ein Selbstläufer geworden, der ideologisch vom so genannten Kritischen Dialog flankiert wird, und noch nicht mal Schröder muss noch „Ich will hier rein!“ brüllen. Aber schauen wir, ob der NUMOV nicht doch etwas Politisch-Geschichtliches zu bieten hat. Der Neugründung 1950 muss ja schließlich irgendetwas vorausgegangen sein. Dieses nämlich (S. 16):
„Das Ende des Zweiten Weltkrieges brachte nicht nur für Deutschland und Europa, sondern auch für die Länder des Nahen und Mittleren Ostens eine politische und wirtschaftliche Neuordnung mit sich.“
So kann man das natürlich auch formulieren, wenn man den eigenen Beitrag zur Notwendigkeit dieser „Neuordnung“ – sprich: Judenmord und Vernichtungskrieg – lieber unerwähnt lassen möchte. Dabei hat den NUMOV noch nicht mal jemand gezwungen, das zu tun, denn es nimmt kaum jemand Anstoß an der Tradition und Gegenwart dieser Lobbyvereinigung. Viel wäre noch zu sagen über ihre Nachkriegsgeschichte und zur Pflege der wirtschaftlichen Beziehungen zu Ländern, die Juden im Allgemeinen und Israel im Besonderen Tod und Verderben wünschen. Aufgegriffen werden sollen hier jedoch nur zwei Highlights, die die Verdienste des neuen Ehrenvorsitzenden näher qualifizieren und seinen Einsatz nachweisen, den der derzeitige Vereinsvorsitzende Martin Bay als „wegweisend für die deutsche Politik“ bezeichnet:
„Einmalig in der deutschen Geschichte war die Reise des deutschen Bundeskanzlers Dr. Gerhard Schröder durch sieben arabische Golfstaaten. In der Zeit vom 27. Februar bis zum 5. März 2005 besuchte Schröder Saudi-Arabien, Kuwait, Katar, Bahrain, Jemen, Oman und die Vereinigten Arabischen Emirate. Deutsche Firmen sahen in der Reise die Chance, sowohl ihre Aktivitäten im Mittleren Osten anzukurbeln, als auch die allgemeinen Rahmenbedingungen für ihr Engagement in den Golfstaaten zu verbessern. Begleitet von einer 70 Mitglieder starken Wirtschaftsdelegation nutze Bundeskanzler Schröder seinen siebentägigen Besuch vor allem, um die deutschen Geschäftsinteressen zu fördern. Es war Gerhard Schröders zweiter Besuch im Mittleren Osten innerhalb von 18 Monaten.“
Der erste hatte zwei Jahre zuvor stattgefunden und auch ein Treffen mit dem Holocaustleugner Zayed ibn Sultan Al-Nahayan (Foto) eingeschlossen (S. 62). Zwar stand der Iran jeweils nicht auf dem Besuchsprogramm, aber das hat nichts zu bedeuten, wie der Geehrte sich in seiner feierlichen Rede gestern festzustellen beeilte:
„Schröder wandte sich bei dem Festakt auch gegen Wirtschaftssanktionen wegen des iranischen Atomprogramms. [...] Nach Schröders Ansicht kann Iran die zivile Nutzung der Kernenergie nicht verwehrt werden. Bei der Lösung des Problems dürften an das Land auch ‚keine anderen Maßstäbe’ gelegt werden als an andere Staaten. Pläne für eine ‚militärische Option, auf welchem Tisch sie auch liegen mögen’, seien in jedem Fall falsch.“
Israel hat der Ex-Kanzler nicht eigens erwähnt, als er von den „anderen Staaten“ sprach, aber das musste er auch nicht, weil man ihn auch so versteht, zumal in Deutschland. Da passt ein Statement des palästinensischen Außenministers Mahmud Sahar bestens, das dieser parallel zu Schröder auf einem Treffen der Bewegung der blockfreien Staaten in Malaysia abgegeben hat: „Niemand kann Israel trauen. Niemand kann den USA trauen. Amerika erwürgt unser Volk.“ Angesichts solcher Sätze spricht man sich als Friedensmacht doch gerne für Verhandlungen mit der Hamas und ein Ende des Boykotts aus.

Doch zurück zu den eingangs erwähnten alten Berichten. Na gut, vielleicht lohnt es sich dann doch nicht immer mit ihnen. Denn manchmal ist nichts so alt wie das, was man gestern gesagt, gehört oder gelesen hat. Und für Schröder gilt das wohl erst recht:
  • „Israel ist die einzige funktionierende Demokratie in der Region. Und der Staat Israel ist keine Bedrohung für den Weltfrieden. Aber die Sicherheit Israels ist bedroht, so lange der Nahost-Konflikt nicht politisch gelöst ist.“
  • „Ich glaube nicht, dass außer den Vereinigten Staaten irgendjemand in Europa oder in der Welt in der Lage ist, bei diesem [Friedens-] Prozess entscheidend wirken zu können.“
  • „Wir haben unsere Aufgabe immer so verstanden, dass wir innerhalb der EU Verständnis für Israel wecken wollen.“
Bevor hier der – berechtigte – Vorwurf erhoben wird, es sei Fantasterei, Schröder beim Wort zu nehmen, zumal er sich bei anderen Gelegenheiten gänzlich anders geäußert habe und Israel niemals wohlgesonnen gewesen sei: Es geht nicht darum, hier jemanden der Heuchelei zu überführen, denn das setzte voraus, dass man jemals Illusionen in den GröVaZ der deutschen Sozialdemokratie investiert hätte. Die Causa ist vielmehr ein weiteres anschauliches Beispiel dafür, wie die deutsche Außen- und Außenwirtschaftspolitik funktioniert und mit welchen Ideologemen sie abgesichert wird – wobei Schröder nur als besonders abstoßende Exemplifizierung dient. Der Kritische Dialog mit Islamisten und sein (wirtschafts-) politischer Inhalt ist keine sozialdemokratische Erfindung, wie nicht zuletzt die Historie der NUMOV zeigt. Sondern er ist partei- und organisationsübergreifende Leitlinie. Fragen Sie nach bei Schäuble. Oder beim BDI.

* In der linken Leiste auf Historie klicken; es öffnet sich eine PDF-Datei.
Hattips: Mona Rieboldt & Spirit of Entebbe

28.5.06

Spin Doctors

Der International Advisory Board for Academic Freedom (IAB), ansässig bei der Bar-Ilan-Universität, ruft mit einer Petition die britische National Association of Teachers in Further and Higher Education (Natfhe) dazu auf, bei ihrem mehrtägigen Jahreskongress in Blackpool einen Antrag auf Boykott israelischer Hochschulen zurückzuweisen, der am kommenden Montag gestellt werden soll. Den Appell haben bislang über 4.700 Akademiker unterzeichnet. Auch das Netzwerk Engage fordert in einem Brief die Natfhe-Konferenz auf, die Eingabe fallen zu lassen. Dieses Schreiben wird von 603 „Akademikern gegen Besatzung“ getragen. Parallel dazu gab die Federation of Unions of Palestinian University Professors and Employees eine Erklärung ab, mit der sie den Boykottantrag als „mutige Initiative“ qualifizierte.

In den deutschen Medien ist bislang so gut wie nichts über diese delikate Debatte in Großbritannien zu lesen, die gleichwohl – mit Unterbrechungen – schon seit vier Jahren läuft und letztes Jahr richtig Fahrt aufgenommen hat. Bereits 2002 stritt Stephen Rose, Biologieprofessor an der Open University und Mitglied des British Committee for the Universities of Palestine, im Guardian für ein Moratorium bei der Zusammenarbeit zwischen europäischen und israelischen Wissenschaftlern; unterstützt wurde er dabei von der Akademikergewerkschaft AUT (Association of University Teachers), die ebenfalls gerne einen Boykott aller israelischen Universitäten und anderer Kultureinrichtungen sähe. Im April 2005 beschlossen dann die Delegierten der AUT-Konferenz, zumindest den Universitäten in Bar-Ilan und Haifa die Zusammenarbeit aufzukündigen, weil diese für die israelische Politik mitverantwortlich seien: Erstgenannter warf man vor, das College of Judea and Samaria im Settlement Ariel in der West Bank – also „besetztem Gebiet“ – zu verwalten; in Haifa wiederum drohe Ilan Pappe als „Kritiker der israelischen Besatzungspolitik“ die Kündigung. Von dem Boykott sollten, so die AUT, israelische Akademiker ausgenommen werden, die sich gegen die „israelische Besatzungspolitik“ geäußert hatten; Details dieses Inquisitionsverfahrens wurden nicht ausgeführt. Die Befürworter verstanden die Resolution explizit als ersten Schritt in Richtung eines völligen Boykotts aller israelischen Universitäten und perspektivisch auch anderer Kultureinrichtungen.

Das blieb nicht unwidersprochen und hauchte in Großbritannien einer Diskussion Leben ein, die bis dato kaum geführt worden war – Antizionismus hat dort, zumal bei Linken und Intellektuellen, eine in der Regel wenig hinterfragte Hegemonie, um es einmal vorsichtig zu formulieren. Aber nun kam Bewegung in die Angelegenheit. Eine Beobachterin berichtet:
„Dieser Beschluss verursachte wochenlange erregte Debatten in den britischen Medien und traf auf starken Widerstand großer Teile der Gewerkschaftsbasis. GegnerInnen des Beschlusses organisierten lokale Meetings an den einzelnen Universitäten und erzwangen innerhalb weniger Wochen ein weiteres außerordentliches ‚Council Meeting’ in London, bei dem der Beschluss mit einer Mehrheit von etwa 75-80 Prozent [...] zurückgenommen wurde. Die öffentlichkeitswirksamste Kritik kam zum einen von etablierten Institutionen wie dem ‚Board of Deputies of British Jews’ oder der jüdischen StudentInnenvereinigung, zum anderen von einer losen Assoziation liberaler bis linker AkademikerInnen, JounalistInnen etc., denen es vor allem um eine Kritik des spezifisch linken Antisemitismus ging und die sich über eine zu diesem Zweck installierte Website mit dem Titel ‚Engage’ vernetzten. Zu diesem merkwürdig klingenden Titel sollte man vielleicht sagen, dass das Verb ‚to engage’ im Englischen nicht nur die Konnotation von ‚sich engagieren’ hat, sondern auch und vor allem – wie in ‚engaging the enemy’ – die von ‚sich ins Handgemenge begeben’, ‚angreifen’. [...] Diese Website verwandelte sich rasch in einen Dschungel verschiedener Links, Postings, Artikel und Debatten, etwa darüber, wie man sich zur ‚israelischen Besatzungspolitik’ positionieren solle, wie ‚Antisemitismus’ zu definieren sei usw.“
Nun unternimmt die Natfhe – mit 69.000 Mitgliedern gegenüber der AUT (48.000) die größere akademische Organisation – einen neuerlichen Versuch, einen Boykott Israels zu erwirken. In dem entsprechenden Antrag geißelt man unter anderem den Sicherheitszaun und wirft dem jüdischen Staat vor, eine „Apartheidpolitik“ gegenüber den Palästinensern zu betreiben. Das rief Engage erneut auf den Plan; es entstand ein Brief, der in erster Linie von Natfhe- und AUT-Mitgliedern unterschrieben wurde. In ihm heißt es:
„Dieser Antrag [auf einen vollständigen Boykott israelischer Hochschulen] ‚lädt’ Akademiker dazu ‚ein’, israelische ‚Institutionen und Individuen’, die sich nicht ‚öffentlich von der israelischen Apartheidpolitik distanzieren’, aus der globalen akademischen Gemeinschaft auszuschließen. Der Zweck der Apartheid-Analogie hier ist es nicht, den Konflikt zwischen Israel und Palästina zu beleuchten, sondern ein emotionales Votum für eine Schwarze Liste zu mobilisieren.“
Man könnte also auch sagen: Der Antrag appelliert ans antisemitische Ressentiment. Aber da wäre noch eine kleine Einschränkung:
„Wir sind gegen die israelische Besatzung der West Bank, und wir sind gegen die tägliche Gewalt, die zur Aufrechterhaltung dieser Besatzung nötig wird; genauso sind wir gegen die Kampagnen, Israelis zu töten. Wir sind für Frieden zwischen Israel und Palästina auf der Basis gegenseitiger Anerkennung. Aber dieser Boykottantrag würde eher schaden als nutzen, wenn sein Ziel wäre, die israelische und die palästinensische Friedensbewegung zu stärken und zu einem Friedensabkommen beizutragen.“
Und noch eine:
„Wir sind gegen den offensichtlichen Widerspruch, Israel auf die Schwarze Liste zu setzen, aber gegenüber Akademikern in den USA, China, Russland, Großbritannien, Sudan, Nordkorea, Zimbabwe, Saudi Arabien, Syrien oder Ägypten eine völlig andere Einstellung an den Tag zu legen – oder gegenüber der langen Liste anderer Staaten, die für gleiche oder schlimmere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind.“
Hier wird die Sache schon reichlich schräg: Diese Passagen atmen eindeutig den Geist des Antizionismus und auch des Antiamerikanismus; ohne diese Bekenntnisse wäre ein mehrheitsfähiger Einspruch gegen den Boykottaufruf augenscheinlich nicht denkbar. Der vorangegangene Vergleich des Vorhabens der Boykotteure mit den antikommunistischen Gesinnungsprüfungen der McCarthy-Ära in den USA und den antisemitischen Wellen im Osteuropa der 1960er Jahre macht die Sache da nicht viel besser. Zudem bleibt die Logik auf der Strecke: Man spricht sich gegen einen Abbruch der Beziehungen zu israelischen Hochschulen aus, begründet das aber unter anderem damit, dass die Antragsteller bei der Natfhe-Konferenz sich schließlich auch nicht um die Schweinereien in anderen Ländern kümmerten – wobei die folgende Aufzählung der gemeinten Staaten eine, zurückhaltend gesagt, schwer erträgliche Gleichmacherei bedingt, die etwa die USA und Großbritannien unvermittelt neben islamistische Regimes stellt, bei denen der Iran noch nicht einmal Erwähnung findet. Und damit nicht genug – auch die Verhältnisse in der palästinensischen Gesellschaft erfahren eine ziemliche Schönfärberei:
„Während viele Stimmen in Palästina nach einem Boykott rufen [...], tun es viele auch nicht. Die PLO, die Palästinensische Autonomiebehörde und der Präsident der ‚Bir Zeit-Universität’ haben nicht zum Boykott aufgerufen. Der Präsident der ‚Al Quds-Universität’ in Ostjerusalem ist ganz klar gegen einen Boykott.“
Da wird der Silberstreif am Horizont gesucht, dabei stellt sich die Situation in den Autonomiegebieten vor allem seit der Wahl der Hamas wenig zuversichtlich dar. Und dass diese noch nicht explizit das Ende des akademischen Austauschs seiner Lehranstalten mit israelischen Einrichtungen verkündet hat, ist wohl eher ein Versäumnis, das im Zweifelsfall in Bälde nachgeholt werden wird. Unabhängig davon stellt sich die Frage, was die Engage-Aktivisten an israelischen Hochschulen so begrüßen:
„Israelische Universitäten gehören zu den offensten und antirassistischsten Räumen in Israel. Sie sind Orte, wo Worte und Argumente eher die Norm sind als Waffen und Bomben. Sie umfassen eine große Zahl arabischer Studenten (20 Prozent in Haifa und Jerusalem) und eine bedeutende Zahl an arabischen Mitarbeitern.“
Die Akademikerschmieden bilden demzufolge eine Ausnahme von der angeblichen Regel der Verschlossenheit, des Rassismus und der Gewalt in Israel – das heißt eine Nische inmitten prinzipiell abzulehnender Verhältnisse. Die vordergründig pro-israelische Intervention hat also, gelinde gesagt, ihre Haken. Es ist müßig, an dieser Stelle zu fragen, ob die Positionierung von Engage nun taktischer Natur ist, um überhaupt eine Chance zu haben, den Boykottantrag beim Natfhe-Kongress zum Kippen zu bringen, ob sie die Erkenntnis, dass ein Boykott Israels antisemitisch ist, einfach verdrängt, oder ob sie – was wahrscheinlicher ist – die aufrichtige Überzeugung der Engage-Aktivisten und ihrer Unterstützer widerspiegelt: Im Ergebnis bleibt sich das gleich, weil eine bedingungslose Stellungnahme für Israel offensichtlich nicht denkbar ist.

Bleibt also zu fragen, ob der Brief an die Natfhe trotzdem Positives bewirken kann. Und das wird man trotz aller scharfen Kritik an den falschen Argumenten für eine richtige Maßnahme letztlich bejahen müssen: Denn wenn der Boykottantrag aufgrund dieser Intervention scheitern sollte – wie er auch letztes Jahr bei der AUT gescheitert ist –, wäre dies in jedem Fall ein Fortschritt gegenüber der Verabschiedung eines Beschlusses, der über den universitären Bereich hinaus negative Folgen für Juden im Allgemeinen und Israel im Besonderen haben würde. Und trotzdem: Wenn man Engage beim Wort nimmt, streitet sich diese Organisation mit den Boykottbefürwortern letztlich um die „richtige“ antizionistische Linie, statt Partei für Israel und gegen den antisemitischen Wahn zu ergreifen. Dafür spricht auch, dass das Netzwerk seinen Opponenten vorwirft, „kontraproduktiv“ zu handeln – und das setzt allemal voraus, dass diese ein im Grunde genommen ehrbares Ansinnen auf die Agenda gesetzt haben, das bei Lichte betrachtet jedoch dem antisemitischen Ressentiment folgt.

Der International Advisory Board for Academic Freedom (IAB) hingegen kommt in seiner Online-Petition ohne eine Verurteilung Israels aus:
„Ein akademischer Boykott widerspräche nicht nur den Prinzipien akademischer Freiheit, sondern auch dem Streben nach einer friedlichen Lösung des arabisch-israelischen Konflikts. Ein Boykott würde die Welt potenzieller Beiträge israelischer Wissenschaftler zu dieser und anderen humanitären Anstrengungen berauben und dem palästinensischen Volk keinen Nutzen bringen.“
Das israelische Parlament war zuvor sogar zu einer Notversammlung zusammengekommen, um die britischen Boykottpläne zu besprechen, die als „Hexenjagd“ bezeichnet wurden. Der israelische Bildungsminister rief die britische Regierung zum Einschreiten auf.

Drei Tage nach ihrer Konferenz wird sich die Natfhe übrigens mit der AUT vereinigen. Der Guardian vermutet daher, eine antiisraelische Resolution habe nur ein kurzes Leben: „Jede angenommene Resolution wird für weniger als eine Woche die Politik der Natfhe sein und nur eine Weisung für die neue Vereinigung.“ Engage hingegen betont: „Wir wollen nicht, dass der neue Verband während einer kontraproduktiven Auseinandersetzung über eine Politik des Ausschlusses israelischer Kollegen hineingeboren wird.“ Es bleiben Zweifel daran, dass die Vereinigung mehr fürchtet als den Verlust akademischer Karrierechancen infolge eines Stopps der Beziehungen zu israelischen Hochschulen und ihren Wissenschaftlern. Wiewohl sich in Engage auch nicht wenige betätigen, denen der Antisemitismus und Antizionismus ihrer Kollegen ernsthafte Sorgen bereitet: Das Schreiben an Natfhe bedient an viel zu vielen Stellen die Ressentiments der Boykotteure.


Update 29. Mai 2006: Die Natfhe-Konferenz hat den Boykottantrag mehrheitlich angenommen. Sie meinte „eine fortgesetzte israelische Apartheidpolitik, eingeschlossen den Bau der Mauer, und diskriminierende Ausbildungspraktiken“ feststellen zu sollen. Weiter heißt es:
„Die Konferenz lädt die Mitglieder ein, bei Kontakten mit israelischen Bildungseinrichtungen oder Individuen ihre eigene Verantwortung für Gleichheit und Nichtdiskriminierung zu bedenken und zu berücksichtigen, dass ein Boykott derer, die sich nicht öffentlich von derlei Politik distanzieren, angemessen ist.“
Ob dieser antisemitische Beschluss auch nach der Vereinigung von Natfhe und AUT Gültigkeit behält, wird sich zeigen; zu befürchten ist es allemal. Beifall wird er zweifellos an der Oxford University finden, wo nicht wenige Zionismus für „Rassismus“ halten und auch schon mal Studenten zurückgewiesen werden, wenn sie Israelis sind.

Zum Thema Antisemitismus im akademischen Milieu – nicht nur in dem Großbritanniens, sondern auch und besonders in dem Deutschlands – siehe auch den ausgezeichneten Beitrag von Tobias Jaecker.
Übersetzungen aus dem Englischen: Liza, Hattips: Christine, Olaf, Lila & The Editrix

26.5.06

Regie gegen das Regime

Unverändert hält die Bundesregierung daran fest, dem iranischen Präsidenten während der Fußball-Weltmeisterschaft im Falle eines Besuchs den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten, und auch der Weltfußballverband FIFA ist nach wie vor der Ansicht, Sport habe mit Politik nichts zu tun, weshalb ein Ausschluss des Iran vom Turnier nicht in Frage komme. Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass beide auf den jeweils anderen verweisen, wenn es um die Zuständigkeit dafür geht, Mahmud Ahmadinedjad (Foto; links: Bayern-Profi Ali Karimi) zum unerwünschten Gast zu erklären und von den Spielen fern zu halten: Der Direktor der FIFA-Rechtsabteilung, Heinz Tännler, war in seinem Antwortschreiben auf den Protestbrief des Simon Wiesenthal Centers der Ansicht, die Entscheidung über eine Einreise des iranischen Präsidenten liege „allein in der Verantwortung der deutschen Regierung“, während man bei dieser die Auffassung vertritt, die WM sei eine Veranstaltung des Weltfußballverbandes, weshalb nur dieser darüber befinden könne, ob Ahmadinedjad willkommen ist oder nicht. Wäre das Ganze nicht so traurig, man könnte sich glatt krümmen vor Lachen über diese Posse.

Doch inzwischen häufen sich auch die Appelle und Aufrufe zu Protestaktionen gegen die Teilnahme des Iran an dem Fußballturnier und einen möglichen Besuch des Irren von Teheran. Unter dem Motto „Nie wieder! Never again!“ mobilisieren beispielsweise etliche Organisationen und Einzelpersonen – darunter Arno Lustiger, Ralph Giordano, Michel Friedman, Henryk M. Broder, Micha Brumlik, Nasrin Amirsedghi, Michael Wolffsohn, Seyran Ates und Hans-Peter Raddatz – zu drei Demonstrationen während der Vorrundenspiele der iranischen Mannschaft in Nürnberg, Frankfurt und Leipzig; die Manifestation am 17. Juni in der Mainstadt ist gleichzeitig eine Kundgebung gegen den für diesen Tag geplanten Aufmarsch von Neonazis für den Holocaustleugner im Präsidentenamt.

Zu diesen Aktivitäten gesellt sich nun ein Offener Brief des Clubs iranisch-europäischer Filmemacher (CIEF), der bereits gegen die Aufführung des iranischen Fußballfilms Offside bei der Berlinale im Februar dieses Jahres scharf protestiert hatte, weil er den Streifen für regimekonforme Propaganda hielt. Das Schreiben ist an die Abgeordneten des Europaparlaments gerichtet, nachdem dort eine Gruppe um das konservative britische Parlamentsmitglied Chris Heaton-Harris (Foto) die Initiative ergriffen hat und den Versuch unternehmen will, bei FIFA-Präsident Joseph Blatter doch noch den Ausschluss des Iran zu erwirken; der CIEF befürwortet dieses Vorpreschen und ruft die anderen Parlamentarier zur Unterstützung auf. Lizas Welt dokumentiert den Offenen Brief dieser Vereinigung, der bislang noch nicht im Internet abrufbar ist, in Gänze.

Offener Brief

Sehr geehrte Abgeordnete des Europaparlaments,

wir haben erfahren, dass einige Parlamentsmitglieder, u.a. der Kreis um die Herren Christopher Heaton-Harris und Daniel Cohn-Bendit, nach Möglichkeiten suchen, durch bestimmte Maßnahmen seitens ihrer jeweiligen Länder den Iran von dem WM auszuschließen. Wir als Exiliraner wollen in diesem Sinne unsere Solidarität bekunden und Sie auffordern, dieses Ziel bis zum Ausschluss des Iran zu verfolgen. So, wie wir es bereits in der Vergangenheit in einem Brief an Herrn Joseph S. Blatter formuliert haben.

Es dürfte Ihnen nicht entgangen sein, dass das iranische Regime mit seiner antisemitischen und antiisraelischen Haltung den Frieden in der Welt und im Nahen Osten gefährdet. Die Teheraner Machthaber versuchen mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln, Israel, ein Mitglied der FIFA, von der Landkarte zu radieren. Einer der Grundsätze der FIFA ist aber die Anerkennung der Rechte ihrer Mitgliedsstaaten. Die Frage ist also, wie man die Mitgliedschaft eines Staates wie des Iran in diesem Verband dulden kann, die Mitgliedschaft eines Staates, der offen und unverhohlen die Vernichtung Israels und die Umsiedlung seiner Bürger in andere Länder fordert.

Obwohl für die FIFA die Trennung von Sport und Politik zu den Grundprinzipien gehört, darf man nicht vergessen, dass es die despotischen Regimes sind, die des öfteren den Sport und die Sportler für ihre Zwecke missbrauchen. Um dem entgegenzutreten, hat Ihr Verband das frühere jugoslawische Regime von der Teilnahme an der Europameisterschaft 1992 ausgeschlossen. Genauso verfuhr sie im Falle des Apartheidregimes in Südafrika, dem bis zur Abschaffung der rassistischen Gesetzgebung eine Mitgliedschaft verwehrt blieb.

Die erfolgreiche Qualifikation der iranischen Nationalmannschaft für die WM ist ein Ergebnis der harten Arbeit der iranischen Fußballer und der unermüdlichen Unterstützung des iranischen Volkes. Trotz wachsender Fußballbegeisterung auch unter Frauen haben diese keinen Zutritt zu den Fußballstadien. Das iranische Regime versucht mit Hilfe seiner Handlanger und Mittelsmänner in den Medien und der Öffentlichkeit, die politische Situation im Iran herunterzuspielen und seine wahren Absichten bezüglich der Vernichtung Israels und des Griffs nach der Atombombe zu vertuschen.

Die Begründung, dass Politik nichts mit Sport zu tun habe, ist unserer Meinung nach in diesem Fall nicht zutreffend. Wir wollen Sie darauf aufmerksam machen, dass es die iranische Regierung ist, die wie jedes andere despotische und faschistische Regime nicht an dieses Prinzip glaubt. Iranischen Medienberichten zufolge hat die Regierung in Teheran vor, im Rahmen üblicher Propagandamaßnahmen die Popularität der iranischen Fußballnationalmannschaft politisch auszunutzen und sie dazu zu bringen, eine symbolische Menschenkette um eine der iranischen Atomanlagen zu bilden.

Wir sind der Überzeugung, dass die Fußball-Weltmeisterschaften, die im Sinne des olympischen Geistes ausgetragen werden, neben dem sportlichen Wettbewerb der Nationen die Solidarität und den Wunsch nach Frieden unter den Völkern symbolisieren. Die Weltgemeinschaft ist Zeuge dafür, dass die iranischen Machthaber seit ihrer Machtergreifung eher ein Hindernis für die Annäherung der Völker gewesen sind und immer nur Hass und Feindschaft propagiert haben. Deshalb bitten wir Sie, den Ernst der Stunde zu erkennen und den Antrag der jeweiligen Parlamentsmitglieder zu unterstützen.

Es gibt kein Wenn und Aber. Das iranische Regime ist ein faschistisches Regime und kann nur durch gemeinsames und konsequentes Handeln zurückgedrängt werden.

Wir bitten Sie, Ihre Meinung und Antwort an die unten genannte Adresse zu senden.

Club iranisch-europäischer Filmemacher
info@cief-berlin.de

Arman Nadjm (Filmemacher und Dramaturg)
Daryosh Shokof (Regisseur und Künstler)
Javad Asadian (Dichter und Schriftsteller)

Mit Unterstützung von :
Niloofar Beyzaie (Theaterautorin und -regisseurin)
Dr. Kambiz Rusta (Politologe)
Dr. Mehdi Rusefid (Menschenrechtler)

24.5.06

Ansehensüchtige

Knapp zweieinhalb Wochen vor Beginn der Fußball-WM ist die Aufregung groß im Land des Gastgebers. Nicht nur in unmittelbar sportlicher Hinsicht – denn was des Deutschen liebstes Kind zu reißen fähig sein wird, ist höchst ungewiss –, sondern auch deshalb, weil das pathetische Motto „Die Welt zu Gast bei Freunden“ nicht von allen Eingeborenen im Sinne seiner Urheber verstanden und umgesetzt wird. Als Rot-Grün vor sechs Jahren die Losung „Deutschland, einig Antifa“ ausgab und anschließend die Vergangenheitsbewältigung zum Standortvorteil und Exportschlager mutierte, hatte das vor allem zweierlei zur Folge: Neonazis waren plötzlich megaout – weil insbesondere außenwirtschaftlich schädlich –, wodurch man sich wiederum ermächtigt fühlte, vor allem Israel und den USA ein lärmendes „Nie wieder Krieg!“ zu entbieten, von ihnen nassforsch eine Aufarbeitung ihrer Geschichte und Gegenwart einzufordern, ihrem Kampf gegen den islamistischen Terror den Kulturrelativismus Marke Old Europe entgegenzusetzen und sich als Friedensmacht zu inszenieren, die gründlich geläutert und zivilisiert sei.

Diese Änderungen in der Staatsräson und dem Image – weg vom hässlichen, hin zum ach so weltoffenen Deutschen – vollziehen jedoch nicht alle in gewünschtem Maße nach; vor allem im Osten der Republik geht es gebietsweise noch ziemlich, nun ja, old school zur Sache. Das war seit 1989 – in unterschiedlicher Qualität und Quantität – zwar nie anders; dass der Fokus der Aufmerksamkeit aber gerade jetzt wieder auf Gegenden gerichtet ist, in denen Menschen unterschiedlichsten Alters und verschiedenster Herkunft halb oder ganz tot geschlagen werden, weil sie ihren Peinigern keinen Ariernachweis präsentieren können, hängt maßgeblich, wenn nicht ausschließlich mit dem nahenden Fußballturnier zusammen. „Denn wichtig ist, dass die ausländischen Touristen, die zur WM kommen, kein falsches, d.h. richtiges Bild von Ostdeutschland bekommen“, konstatierte Stefan Frank in der Zeitschrift konkret, und er hat Recht damit.

Uneins ist man sich in Politik und Medien dabei, wie man seine Gäste am besten beruhigt und beschwichtigt. Die eine Fraktion – der beispielsweise der ehemalige Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye, die Grünen, der Zentralrat der Juden in Deutschland und die meisten etablierten Medien angehören – zeigt sich empört und besorgt; manche, wie Heye, sprechen gar Reisewarnungen aus: „Es gibt kleine und mittlere Städte in Brandenburg und anderswo, wo ich keinem, der eine andere Hautfarbe hat, raten würde, hinzugehen. Er würde sie möglicherweise lebend nicht mehr verlassen.“ Das wiederum ruft die andere Fraktion auf den Plan – die Becksteins, Schönbohms, Schäubles sowie die Honoratioren der Browntowns –, der Deutschland eine Oase der Ruhe und Ordnung ist, wo sich „Türken im Zweifel sicherer als in Ankara oder Istanbul“ fühlen könnten (Beckstein), pejoratives Vokabular allenfalls in harmlosen Auseinandersetzungen unter Beschwipsten Gebrauch finde (Schönbohm) und in – bloß selten zu beklagenden – Fällen ungesetzlichen Körpereinsatzes „auch Blonde und Blauäugige“ Opfer würden (Schäuble).

Die Angehörigen des erstgenannten Flügels haben mit ihrer Bestandsaufnahme selbstverständlich Recht, aber das ist nicht das Entscheidende. Denn die einen wie die anderen treibt mehrheitlich eine gemeinsame Sorge und ein damit verbundenes gemeinsames Ziel um: Das „Ansehen Deutschlands im Ausland“ ist mal wieder in Gefahr*, zumal jetzt, vor einem der bedeutsamsten und populärsten Sportereignisse überhaupt. Und genau das veranlasst die Möchtegern-Antirassisten, prospektive Zielscheiben des Mobs in Erwartung unangenehmer Kommentare nichtdeutscher Politiker und Medien auf die deutschen No-Go-Areas hinzuweisen, während die Abwiegler sich für eine Hauptrolle im nächsten Werbespot von Erdinger Weißbier bewerben. Beiden jedoch geht es dabei vor allem um die Reputation ihres geliebten Deutschland und zumeist nicht so sehr um diejenigen, denen ein Aufenthalt vor allem in Teilen der Zone nicht ohne Lebensgefahr möglich ist.

Dementsprechend fürchtet beispielsweise Heye, die Rechtsradikalen könnten „unser Land in Misskredit bringen. Dagegen müssen wir uns zur Wehr setzen“, während der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union im Bundestag, Wolfgang Bosbach, mahnt: „Die Glatzen dürfen uns nicht die WM kaputt machen.“ Ein Streit unter Deutschlandfans also um den effektivsten Weg, aus dem Turnier in jeglicher Hinsicht das größtmögliche Kapital für die Nation zu schlagen. Rassistische und antisemitische Attacken sind in diesem Zusammenhang deshalb ein Problem, weil sie dem guten deutschen Ruf Schande machen, und nicht – oder weitaus weniger –, weil durch sie die körperliche und seelische Unversehrtheit der Angegriffenen gefährdet wird.

Hinzu kommt, dass Politik und Medien hierzulande den Neonazis noch einen wirklich prächtigen Resonanzboden bieten, indem sie den Anlass für Neonaziaufmärsche während der WM – den Schulterschluss deutscher Antisemiten mit dem prominentesten iranischen nämlich – zusätzlich befeuern. Denn wer Mahmud Ahmadinedjad ein guter Gastgeber sein will, gerät bei aller Kraftmeierei – mehr Staat, mehr Polizei, mehr Kontrollen gegen den Faschopöbel – notwendig in Argumentationsnöte, wenn es darum geht, zu begründen, warum derlei Solidarisierung unerwünscht ist. Zumal dann, wenn man die inzwischen zahlreichen Aufrufe und Stimmen, die den Ausschluss des Iran von der Weltmeisterschaft oder wenigstens ein Einreiseverbot für den Irren von Teheran fordern – darunter der israelische Botschafter in Deutschland, Shimon Stein, der israelische Ministerpräsident Ehud Olmert und viele jüdische Gemeinden –, schlicht ignoriert und dafür lieber mit dem Mullah-Regime aushandelt, wie mögliche Proteste gegen den Besuch des iranischen Präsidenten am geräuschärmsten zu verhindern sind. Im Übrigen, so wird immer wieder beteuert, habe Sport mit Politik nichts am Hut. Dass das barer Unsinn ist, hat etwa Michel Friedman just gestern in einem Interview auf den Punkt gebracht:
„Fußball ist eben nicht, wie man so gerne sagt, apolitisch, und selbstverständlich steht die iranische Fußballmannschaft ebenfalls für das Regime, das sie repräsentiert. Und dieses Regime ist in einer Art und Weise antiisraelisch und antisemitisch, wie es das eigentlich nicht mehr seit Jahrzehnten gegeben hat. Der iranische Staatspräsident leugnet öffentlich und offiziell den Holocaust und spricht sich für die Vernichtung des Staates Israel aus. Diese Demonstrationen sind keine Demonstrationen gegen das iranische Volk, aber gegen die Machthaber, die das Volk repräsentieren, und ich denke, dass, wenn die internationale Gemeinschaft bei den Fußballspielen mit der iranischen Mannschaft konfrontiert wird, eine Sensibilisierung stattfinden soll, dass es hier nicht Business as usual gibt, sondern dass diese Mannschaft ein Regime [re]präsentiert, das sich von allem menschlichen und zivilisierten Formen verabschiedet hat.“
Noch einmal: Es geht nicht darum, mit einem Einreiseverbot für einen Holocaustleugner oder einem konsequenten Vorgehen gegen Neonazis und andere Antisemiten und Rassisten das deutsche Renommee zu verbessern, sondern darum, schlichteste Selbstverständlichkeiten in punkto Humanität walten zu lassen und darüber hinaus dem kategorischen Imperativ Adornos zu folgen, also alles zu tun, dass Auschwitz sich nicht wiederhole, nichts Ähnliches geschehe. Dies an die Adresse derer, denen es zuvörderst um das obskure Ansehen des Landes, in dem sie leben, zu tun ist und nicht um Aufklärung und Vernunft, also das Gegenteil.

* Die dahinter stehende Logik entspricht in etwa der von Eltern, die ihr Kind, das soeben den Gleichaltrigen von nebenan verprügelt hat, nicht wegen dieser Körperverletzung tadeln, sondern vor dem Hintergrund der Frage „Was sollen denn die Nachbarn von uns denken?“ Maßnahmen einleiten.
Hattips: Gesine & Doro

23.5.06

Almosenromantizismus

So viel Sarkasmus sei erlaubt: Eigentlich müsste sie ja längst da sein, die Hungerkatastrophe in den palästinensischen Gebieten, vor der nahezu täglich gewarnt wird. Schon am 20. März dieses Jahres nämlich hieß es im Handelsblatt: „Innerhalb von Tagen könnte den 1,3 Millionen Bewohnern des Gaza-Streifens eine Hungersnot drohen.“ Zwei Wochen später ließ sie immer noch auf sich warten: „Palästinensern droht Hungersnot. Uno warnt vor humanitärer Katastrophe als Folge der Isolationspolitik.“ Doch sie kam und kam nicht, weshalb die Hamas der Europäischen Union Ende April ankündigte, sie notfalls gezielt herbeizuführen. Aber immer noch weit und breit: nichts. Nur die Ruhe vor dem Sturm? Anfang Mai fürchteten die Staatsführungen Ägyptens, Saudi-Arabiens, Jordaniens und Pakistans jedenfalls, das geballte Unheil leerer Mägen könnte sie qua „Flächenbrand“ aus ihren Ämtern fegen. Da sitzen sie aber immer noch.

Der Gau braucht also noch eine Weile. Offenbar weiß niemand so genau, wann er eintritt, aber dass er kommt, scheint so sicher wie das Allahu akbar! in der Moschee und die Antwort auf die Frage, wer im Fall der Fälle schuld ist: Israel zuvörderst, die USA natürlich, die EU und die übrigen Finanziers, die die Dreistigkeit besitzen, die eliminatorischen Antisemiten der Hamas zu boykottieren, obwohl die doch den demokratisch legitimierten Volkswillen repräsentieren. Kaum jemand hingegen stellt Nachforschungen an, wo genau eigentlich das ganze Geld geblieben ist, das bereits zu Arafats Zeiten an die Palästinensische Autonomiebehörde geflossen ist. Dabei lohnt sich das – denn die Ergebnisse zeigen recht eindeutig, dass das Elend der Bevölkerung hausgemacht ist:
„Wer blindlings den Behauptungen glaubt, dass die Palästinenserbehörde bankrott sei, verfügt über ein kurzes Gedächtnis und hat die Vorgänge vergessen, als Yassir Arafat in Paris auf dem Sterbebett lang. Damals wurde die extravagante Kaufsucht von Suha Arafat und eine angebliche monatliche Apanage in zweistelliger Millionenhöhe breitgetreten. Es wurde auch über Arafats 3 Milliarden Dollar Privatvermögen geredet, das den Palästinenserpräsidenten mit Fidel Castro, der britischen Königin und Saddam Hussein in der Zeitschrift Forbes zu einem der reichsten Herrscher der Welt machte. Niemand redet mehr über diese Gelder. Die PLO, deren Vorsitzender heute Mahmud Abbas ist, investierte in der algerischen Telekommunikationsgesellschaft und in Holdinggesellschaften in Südamerika.“
Und die Ausgaben dürften sich in überschaubaren Grenzen gehalten haben, denn das meiste wurde, sagen wir, Gewinn bringend angelegt:
„Da die Autonomiebehörde dank der Spenden der Geberländer ihre Rücklagen nicht anrühren musste, dürften diese Gelder noch vorhanden sein. Etwa zehn Milliarden Dollar flossen seit 1993 vor allem aus der EU in die Palästinensergebiete. ‚Etwa 5 Milliarden Dollar verschwanden in den Gullis, und wir wissen nicht, wohin’, gestand Muhammad Dahlan im August 2004 im ‚Guardian’. Arlene Kushner vom ‚Zentrum für Nahost Politik’ berichtet zudem von dem ‚Palestinian Investment Fund’ (PIF), 2002 von Finanzminister Salam Fayad eingerichtet, mit einem Teil des Vermögens von Yassir Arafat. Mustafa Muhammad, Chef des Fonds, in dem noch eine Milliarde Dollar liegen müssten, habe 300 Millionen Dollar an die Autonomiebehörde ausgezahlt. Angeblich hat Mahmud Abbas die Kontrolle über PIF.“
Es dürfte also trotz aufwändiger Aufrüstung noch ein bisschen was da sein, das den Hunger zu lindern verstehen könnte. Doch zur Ideologie der Hamas gehört neben dem Judenmord auch die repressive Wohlfahrt – ein Almosenromantizismus, der Enthaltsamkeit und Demut als Gegenleistung für einen Teller Suppe einfordert und zum politischen Programm erhebt. Die Versorgung der Bevölkerung ist in diesem Zusammenhang ein wichtiges Steuerungsinstrument bei der nationalen Formierung; sie wird genau so weit sicher gestellt, dass die Abhängigkeit von den vermeintlichen Wohltaten der Terrorvereinigung jederzeit gewahrt bleibt und das Klagelied, ein noch besseres Leben werde durch Israel und die USA – und nicht etwa durch die Hamas selbst – verhindert, die Nationalhymne bleibt. Vor diesem Hintergrund hat das palästinensische Regime ein großes Interesse daran, die eigenen Reichtümer zu beschweigen, dafür den kleinen und den großen Satan der Erpressung zu zeihen und bei den arabischen Brüdern und Schwestern medienwirksam um eine milde Gabe zu bitten.

Dessen ungeachtet gibt Israel neun Millionen Euro frei, die in Form von Arzneimitteln an Krankenhäuser weitergeleitet werden, also nicht an die Hamas gehen sollen. Und auch von anderer Seite kommt unverhoffte Unterstützung, wenn auch bis jetzt noch Kleinvieh Mist macht:
„Eine Gruppe iranischer Studenten hat am Sonntag bei einer Veranstaltung Geld gesammelt, das zur Zerstörung Israels beitragen soll. Mit der Aktion wollen sie zudem die palästinensische Regierung unterstützen, die sich derzeit in einer finanziellen Krise befindet. Wie die Tageszeitung ‚Ha’aretz’ berichtet, nahmen etwa 300 Studenten an einer Veranstaltung teil, die von der ‚Bewegung der nach Gerechtigkeit suchenden Studenten’ an der Universität von Teheran initiiert wurde.“
Und da ließ die geistige Elite eine Spendenbüchse kreisen, auf der „Der Studentenfond für die Zerstörung Israels“ geschrieben stand. Monty Python hätte es nicht besser inszenieren können; derzeit macht die Realität fast jede Satire, fast jedes Kabarett unmöglich, weil sie kaum noch scharfsinnig zu pointieren ist. Dazu passt, dass der Sprecher dieser Vereinigung, Javad Miri, in seinem Versuch, sich staatsmännisch-diplomatisch zu geben, die Ziele mit umso größerem Freimut ausspricht:
„Dies ist ein symbolischer Schritt, um die öffentliche Aufmerksamkeit für die palästinensische Sache zu erreichen, in einer Zeit, in der die westlichen Länder die finanzielle Unterstützung für die Hamas-geführte Regierung zurückhalten. Wenn eine gewählte Regierung in Palästina an der Macht ist und Israel Druck auf sie ausübt, sollte jeder den Palästinensern helfen.“
Die Gleichung ist schnell errechnet; die „palästinensische Sache“ ist diesen iranischen Studenten das, wofür sie Geld gesammelt haben: die Zerstörung Israels. Das Ganze mutet nicht nur bizarr an; das ist es auch – wobei der Schluss der Geschichte die Sache erst richtig rund macht:
„Zehn Studenten gaben Geld in eine Box. [...] Einige warfen auch Steine hinein. Mit dieser Geste spielten sie auf die erste palästinensische Intifada von 1987 an.“
Na gut, aller Anfang ist schwer. Aber das dämpft den Optimismus kaum, und so fällt das Fazit auch aus wie bei einem Fußballtrainer, der bei seinem Einstand eine zweistellige Klatsche kriegt und doch unbeirrbar an seinen Trainingsmethoden festhält:
„‚Ich hoffe, es ist der Start einer populären finanziellen Unterstützung für die Hamas-Regierung“, so der 21-jährige Philosophie-Student Einollah Zarrinjoo.“
Offenbar fand aber nicht das gesamte Auditorium die Idee eines Vernichtungsfonds so gut wie dieses akademische Nachwuchstalent; möglicherweise wollten viele sich ihre Zustimmung aber einfach auch nichts kosten lassen. Trotz der Hungersnot, die bekanntlich täglich über die von Israel Geknechteten hereinbrechen kann.

Hattip: Doro, Fotos (aus Ramallah): Julia

22.5.06

Freunde Der Palästinenser

Ganz so geräuschlos wie geplant ist der Deutschlandbesuch des Hamas-Ministers Atef Adwan dann doch nicht über die Bühne gegangen. Die drei Bundestagsabgeordneten, die sich mit dem palästinensischen Regimefunktionär trafen, stehen derzeit jedenfalls unter einem gewissen Rechtfertigungsdruck. Sozialdemokrat Detlef Dzembritzki beispielsweise wird im Gästebuch seiner Website mit zahllosen Rücktrittsaufforderungen konfrontiert, und auch andere Beiträge wie etwa der von „Familie Grohmann aus Schleswig-Holstein“ werden ziemlich deutlich:
„Unsere Freunde in Israel haben bis heute gedacht, dass sich ein Politiker der NPD mit der Hamas getroffen hat und nicht einer von der SPD. Mussten wir als treue Sozialdemokraten leider richtig stellen.“
Der FDP-Volksvertreter Karl Addicks (Foto) wiederum setzte eigens ein Schreiben an seine Saar-Untergliederung der Deutsch-Israelischen Gesellschaft auf, in dem er reinsten Gewissens darlegt, dass der Plausch mit dem Angehörigen einer Regierung, die Israel von der Landkarte zu tilgen bemüht ist, ein echter Friedensdienst für den jüdischen Staat war:
„Ich wollte die Gelegenheit nicht ungenutzt lassen, dem Mann persönlich ins Gesicht zu sagen, dass die Palästinenser nun endlich einen Gewaltverzicht erklären, das Existenzrecht Israels anerkennen, und zur Roadmap zurückkehren müssen, wenn sie glaubwürdig dem Frieden in der Region eine Chance geben wollen. Dies vor dem Hintergrund, dass dieser Minister persönlich kein Hamas-Mitglied ist, gleichwohl natürlich Mitglied einer Hamas-Regierung. Das Gespräch kam sehr kurzfristig zustande. Mit Redeverboten kommt in der verfahrenen Situation niemand weiter.“
Was die Unschuld vom Lande dem Herrn Flüchtlingsminister da „persönlich ins Gesicht“ gesagt haben will, haben dieser und die Seinen schon -zig Mal und von Menschen ganz anderen Kalibers gesteckt bekommen; allein, die Hamas denkt selbstverständlich gar nicht daran, den Rückzug anzutreten, ganz im Gegenteil. Und welches Zeichen von einem Treffen deutscher Abgeordneter mit einem Exponenten dieser islamistischen und antisemitischen Organisation ausgehen würde, war ebenfalls von vornherein klar. Wenn Addicks und seine Mitstreiter jetzt darauf verweisen, bloß gegen „Redeverbote“ zu sein, könnte die Anmaßung kaum größer ausfallen: Ein solches Statement richtet sich klar gegen Israel, darüber hinaus gegen die USA und selbst gegen den – zumindest offiziellen – Kurs der EU inklusive der Bundesregierung; hinter dem vermeintlichen Redeverbot steht jedoch in Wirklichkeit die höchst nachvollziehbare Entscheidung, den Dialog mit einer Judenmörderbande zu verweigern.

Aber das Ganze passt ziemlich gut zu den Freidemokraten einschließlich ihnen nahe stehenden Vereinigungen und deren ausgezeichneten Beziehungen zur arabischen Welt, nicht erst seit Möllemann, dafür aber auch nach ihm, und zwar ungebrochen.* Bereits das gemeinsame Speisen der freidemokratischen Parlamentarier mit dem palästinensischen Minister kam auf Initiative der Deutsch-Arabischen Gesellschaft (DAG) zustande, und die nächste Kooperationsgelegenheit folgt schon bald: Gemeinsam mit der Friedrich-Naumann-Stiftung, genauer gesagt ihrem Regionalbüro Lübeck, richtet die DAG am 31. Mai in Kiel eine mehrstündige Abendveranstaltung zum Thema „Die israelische Siedlungspolitik in Palästina“ aus. Nach einleitenden Worten der Leiterin des Büros in der Hansestadt sowie des langjährigen Möllemann-Weggefährten, schleswig-holsteinischen FDP-Landtagsabgeordneten und Vizepräsidenten der DAG, Wolfgang Kubicki (Foto), folgt eine Einführung eines weiteren DAG-Funktionärs, bevor ein laut Einladung „hochkarätiger Gast“ ins Haus steht, um einen Vortrag zu halten: Abdul-Rahman Alawi.

Der 61-jährige lebt als Politologe und Historiker in Köln und war von 1983 bis 1994 Leiter der PLO-Büros in den Niederlanden, Norwegen und Dänemark. Außerdem ist er publizistisch tätig; eine Kostprobe lässt sich beispielsweise bei der notorischen Bundeszentrale für politische Bildung finden, der Alawi seine Sicht des Nahostkonflikts so zusammenfasste:
„Auf der einen Seite Israel, das mit modernsten Waffen ausgerüstet ist, auf der anderen Seite hochmotivierte palästinensische Jugendliche der ‚Al-Aksa-Intifada’, ausgerüstet mit Steinen und flankiert von Millionen erzürnter Araber und Muslimen.“
So sieht er aus, der Kampf für die gerechte Sache: Israel ist der Stachel im arabischen Fleische, der gezogen werden muss. Und dass nun die Judenhasser von der Hamas die diesbezügliche Regierungsgewalt übernommen haben, kann nicht weiter verwundern, lässt der Politologe die Freunde Palästinas wissen:
„Hat nicht gerade die amerikanische Nahostpolitik, die sich unkritisch gegenüber der brutalen israelischen Besatzung und der Fortsetzung des illegalen Baus der jüdischen Siedlungen und der völkerrechtwidrigen Trennmauer verhielt, zur Schwächung des ‚Verhandlungspartners’ Abbas und zur Stärkung der Hamas maßgeblich beigetragen?! Und wie ist es mit der Haltung der Europäischen Union, die dieser amerikanischen Politik nicht zu widersprechen vermochte?“
Dass die Hamas und Ihresgleichen vor allem immer dann mit aller Gewalt losschlugen, wenn sich, sagen wir, offizielle Verhandlungsfortschritte andeuteten, ist selbstverfreilich nicht der Rede wert; schließlich ist es dem Herrn Historiker darum zu tun, die Wahl eines antisemitischen Rackets zur unausweichlichen, ja notwendigen Folge israelischer und amerikanischer Politik zu machen und sich sodann als mehr oder minder heimlicher Fan der Islamistentruppe zu outen:
„Hamas hat ihre Verhandlungsbereitschaft erklärt. Die Chance, Hamas in die Friedenbemühungen einzubinden, muss wahrgenommen werden. Lassen die europäischen Staaten diese Chance ungenutzt, droht eine unkalkulierbare Entwicklung in der Nahost-Region.“
Eine solche Position ist bei Naumanns und anderen Freidemokraten nichts Ungewöhnliches; die Stiftung unterhält beispielsweise in ihrer Jerusalemer Filiale sogar eine „Palästina-Abteilung“, deren Leiter Suleiman Abu Dayeh ganz ähnlich tickt wie Alawi (Foto): „Das Interesse des Westens muss sein, Hamas sozusagen von einer radikalen Position hin zu einer moderaten Position zu bewegen.“ Vom radikalen Judenmord zum moderaten Judenmord. Sozusagen.

Das alles entspricht der vom seinerzeitigen – bekanntlich ebenfalls von der FDP berufenen – Außenminister Klaus Kinkel forcierten außenpolitischen Linie des Kritischen Dialogs mit Islamisten, des Appeasements also, das sich längst parteiübergreifend durchgesetzt hat und allenthalben seine Fortsetzung findet. Dementsprechend übersetzt sich das Thema der Kieler Abendtagung so:
„Siedlungspolitik, von der wir tagtäglich lesen können, ist weder anonym noch lässt sie Menschen aus. Sie schneidet ein und bestimmt von oben herab.“
Alles Weitere wird dann Kollege Alawi repetieren: Hier das hochgerüstete Israel, dort die Ärmsten der Armen mit primitiven Waffen, aber „Millionen erzürnter Araber und Muslime“ im Rücken – und natürlich der Hamas, verhandlungsbereit und im Grunde friedensselig. Wo eigentlich die ganzen Gelder geblieben sind, die seit dreizehn Jahren in die palästinensischen Gebiete gegeben werden, dürfte an dem Abend ebenfalls kein Thema sein, denn eine Erörterung dieser Frage müsste das Weltbild der Organisatoren und Referenten nachhaltig erschüttern, gründete es noch auf so etwas wie Denken:
„Die Palästinenser erhielten seit Einrichtung der Autonomiebehörde 1993 pro Kopf gerechnet vier Mal so viel ausländische Finanzhilfe wie die Europäer nach dem Zweiten Weltkrieg Marshall-Plan-Hilfe. [...] [Aber] die Palästinensergebiete wirken heute, trotz der enormen Hilfe, schlimmer heruntergewirtschaftet als nach jahrzehntelanger britischer, jordanischer, ägyptischer und israelischer Besatzung.“
Doch das ist kein Wunder: Wenn die Finanzströme Geld für den Krieg gegen Israel anspülen und ansonsten in mafiotischen Strukturen versickern, bleibt nicht mehr viel übrig zur Verbesserung etwa der Infrastruktur, weshalb „weiterhin offene Kloake durch zwei Meter breite Gassen in Flüchtlingslagern im Gazastreifen“ fließt. Aber das ist wahrscheinlich auch die „israelische Siedlungspolitik“ schuld, über die in Kiel in einem Tagungszentrum namens „Pumpe e.V.“ zu Gericht gesessen wird. Passenderweise übrigens in der Haßstraße. Ob die Parteifreunde aus Reinickendorf auch kommen?

* In diesem Zusammenhang sei auf einen lesenswerten Beitrag in der Wochenzeitung Jungle World hingewiesen, der sich mit den deutsch-arabischen (Wirtschafts-) Beziehungen und dem Einfluss der FDP auf sie befasst. Danke an Ivo für den Tipp.
Hattips: Doro & Gudrun Eussner

21.5.06

Stoff genug

„Eine farbliche Kennzeichnung für Irans ‚Ungläubige’“, überschrieb die kanadische Zeitung National Post vorgestern einen Beitrag des Exil-Iraners Amir Taheri, der sich mit einem Gesetzentwurf befasste, nach dem die Kleiderordnung im Land der Mullahs noch einmal deutlich verschärft werden solle:
„Das Gesetz ermächtigt die Regierung sicherzustellen, dass alle Iraner ‚einheitliche islamische Kleidung’ tragen, mit der ethnische und Klassenunterschiede beseitigt werden sollen, die sich in der Bekleidung widerspiegeln, und um ‚den Einfluss der Ungläubigen’ auf die Art und Weise, wie sich Iraner – vor allem die jungen – kleiden, zu eliminieren. Das Gesetz sieht außerdem eigene Kleiderordnungen für religiöse Minderheiten vor – Christen, Juden und Zarathustristen –, die verschiedene Farbschemata anzunehmen haben werden, die sie in der Öffentlichkeit identifizierbar machen. Die neuen Kennzeichnungen ermöglichten es Muslimen, Nicht-Muslime leicht zu erkennen, wodurch sie es vermeiden könnten, diesen versehentlich die Hand zu schütteln und so unrein zu werden.“
Christen hätten daher in Bälde rote Stoffbänder zu tragen, Zarathustristen blaue – und Juden gelbe. Die historische Assoziation liegt auf der Hand: „Das erinnert mich an die Nazi-Zeit, als Juden zur Ausgrenzung einen gelben Judenstern auf der Brust tragen mussten“, sagte der Leiter des Simon Wiesenthal Centers in Los Angeles, Rabbi Marvin Hier, der umgehend einen Protestbrief an UN-Generalsekretär Kofi Annan verfasste:
„Wenn die Information stimmt, rückt das den Iran noch näher an die Nazi-Ideologie der 1930er Jahre heran, die ebenfalls mit gelben Kennzeichen begann und mit dem Holocaust endete, der zur Ermordung von sechs Millionen Juden und Millionen anderer unschuldiger Zivilisten führte.“
Inzwischen wachsen die Zweifel an der Richtigkeit des National Post-Artikels; die Zeitung selbst zitierte Stimmen, die bestreiten, dass derartige Binden für Nicht-Muslime geplant sind. Sam Kermanian von der in den USA ansässigen Iranian-American Jewish Federation beispielsweise berichtete, er habe Angehörige der jüdischen Gemeinde im Iran kontaktiert – darunter das einzige jüdische Mitglied des iranischen Parlaments, Maurice Motammed –, und die hätten die Existenz eines solchen Vorhabens verneint. Der Umgang mit religiösen Minderheiten sei zwar im Rahmen der Debatte um die neuen Kleiderordnungsvorschriften thematisiert worden, „aber nach allem, was ich weiß, verlangt die letzte Fassung des Gesetzes nicht deren Kennzeichnung“. Motammed persönlich dementierte gegenüber der Nachrichtenagentur Associated Press (AP): „Ein solcher Plan hat dem Parlament niemals vorgelegen und ist auch nie erörtert worden.“

An dieser Stelle soll nicht weiter darüber spekuliert werden, welche Maßnahmen einem Regime zuzutrauen sind, dessen Präsident die Vernichtung Israels propagiert und zu diesem Behufe nach atomarer Bewaffnung trachtet; sollte sich herausstellen, dass der Iran tatsächlich keine in nationalsozialistischer Tradition stehende Kennzeichnungspflicht einzuführen plant, dann hätte eine kanadische Zeitung eine veritable Ente produziert, deren Veröffentlichung gewiss eine Blamage wäre – wenn die Geschichte stimmte, wäre das gleichwohl weitaus dramatischer.

Und bei all der Aufregung sollte nicht in Vergessenheit geraten, was von dem inkriminierten Gesetz unstrittig überliefert ist. Entworfen wurde es bereits vor zwei Jahren während der Präsidentschaft von Mohammed Khatami, doch das Parlament blockierte seine Verabschiedung. Unter dem Druck von Khatamis Nachfolger Mahmud Ahmadinedjad wurde die Einführung des Erlasses nun wieder forciert. Hossein Derakhshan, ein in Teheran geborener und in Toronto lebender Blogger, hat das Gesetz aus dem Persischen ins Englische übersetzt; hier folgt die daraus abgeleitete deutsche Fassung:
1. Die Stoffgestalter und -produzenten müssen ermutigt werden, iranische und islamische Muster und Stile bei der Herstellung von Stoffen und Kleidung zu verwenden.
2. Die traditionellen Muster und lebendigen Symbole der ethnischen Gruppen des Iran müssen geachtet werden; einer angemessenen Körperbedeckung, auf der islamischen Sharia basierend, muss die Aufmerksamkeit gelten.
3. Aus der Erfahrung mit dem Bezug original iranischer Stoffmuster muss ein Nutzen gezogen werden.
4. Die Öffentlichkeit muss ermutigt werden, sich eines iranischen Stils zu bedienen.
5. Örtliche Produzenten traditioneller Kleidung müssen mit Krediten unterstützt werden; ihnen muss Gelegenheit gegeben werden, sich bei Bekleidungsmessen und -festivals zu präsentieren.
6. Der Zugang der Öffentlichkeit zu traditioneller Kleidung muss dadurch unterstützt werden, dass ständige Bekleidungsmessen auf lokaler und regionaler Basis stattfinden.
7. Eine internationale Bekleidungsmesse zum Erfahrungsaustausch mit anderen muslimischen Staaten muss organisiert werden.
8. Die importierten Stoffe und Kleider müssen inspiziert und kontrolliert werden, damit die Einfuhr von Kleidungsstücken, die mit kulturellen, islamischen und nationalen Werten nicht kompatibel sind, verhindert werden kann.
9. Dieser Entwurf wurde in Absprache mit den entscheidenden Körperschaften in Sachen Bekleidung verfasst.
10. Nichtstaatlichen Organisationen und Vereinigungen sowie Nichtregierungsinstitutionen muss finanzielle Unterstützung beim Angebot nationaler Kleidung gewährt werden.
11. Die Medien, insbesondere das nationale Fernsehen, müssen dabei helfen, den Gebrauch nationaler Kleidung zu etablieren, und sie müssen vermeiden, Bekleidungsstile zu bewerben, die mit unserer Kultur unvereinbar sind.
Frauen werden in diesem Ukas, anders als im bisher gültigen Gesetz von 1982, nicht mehr eigens erwähnt, aber das lässt nicht den Rückschluss zu, ihre Situation würde sich durch die neu gefasste Verordnung verbessern; ganz im Gegenteil. Denn was die Mullahs sich für den weiblichen Teil der Bevölkerung unter „traditioneller iranischer Kleidung“ und „islamischem Stil“ vorstellen, haben sie hinreichend deutlich gemacht; Konkretisierungen werden in der Verordnung daher gar nicht mehr vorgenommen, sondern vorausgesetzt. Der Erlass stellt in seiner Gesamtheit darauf ab, Grundlage für eine Abwehr dessen zu sein, was das Regime für westliche Zumutungen hält. Seine Inkraftsetzung ist ein weiterer manifester Schritt zur nationalen Formierung inklusive drastischer Sanktionen gegen diejenigen, die sich dieser Zurichtung verweigern. Auch wenn darüber hinaus gehende Meldungen sich als falsch erweisen, was nach der Veröffentlichung des Gesetzestextes wahrscheinlich ist: Diese Nachricht ist niederschmetternd genug.

Übersetzungen: Liza, Hattips: Sebastian & Transatlantic Forum

20.5.06

Ausgeklü(n)gelt?

Wie man Nahostkorrespondent respektive Nahostkorrespondentin wird, hat Claudio Casula unlängst in seiner Anleitung treffend auf den Punkt gebracht:
„Obwohl der israelisch-arabische Konflikt schon etliche Jahrzehnte währt und hochkomplex ist, ist für den Berichterstatter kaum Grundwissen erforderlich. Es ist auch gar nicht nötig, den unwissenden Leser oder Zuschauer mit Fakten zu nerven und das ganz dicke Brett zu bohren. Ein simples Bild ist gefragt. Und die Sache ist ganz einfach: Israel ist die stärkere Partei in diesem Konflikt (Bad Guy), die Palästinenser die Underdogs (Good Guy). Nach diesem Muster biegen wir die Ereignisse vor Ort zurecht.“
Eine, die diesem Leitfaden bislang stets streng folgte, ist Inge Günther, die unter anderem für die Frankfurter Rundschau, den Kölner Stadt-Anzeiger und die Berliner Zeitung ihren Dienst versieht. Nach dem Wahlerfolg der Hamas beispielsweise bescheinigte sie der antisemitischen Terrorbande „gute Aussichten“; ihr Sieg berge „enormes Risikopotenzial, aber eben auch die Chance konstruktiver Einflussnahme“, die nicht durch die „fatale Illusion“ verschenkt werden dürfe, „notfalls einen Regimewechsel zu erzwingen“zumal „in jüngster Zeit Hamas-Politiker zunehmend Israel als unumstößliche Realität“ begriffen.

Wahre Friedenstäubchen sind sie also, die Gotteskrieger, im Grunde nachgerade ein Segen für die Demokratie, und wer – aus welchen Gründen auch immer – anderer Ansicht ist, darf sich sicher sein, von Inge Günther und Ihresgleichen als veritables Friedenshindernis niedergeschrieben zu werden. Manchmal jedoch, in ganz seltenen Fällen, tragen sich Dinge zu, die selbst bei der unverwüstlichsten Berichterstatterin die ideologische Zuverlässigkeit ins Wanken bringt. Kurzzeitig zumindest. In den palästinensischen Gebieten tobt derzeit nämlich ein, sagen wir, unschöner Kampf zwischen den eher der Fatah nahe stehenden Polizeitruppen und den neu gegründeten Hamas-Milizen; kurzum: man streitet sich um die Exekutivgewalt.

Das Ganze ist weit weniger Ausdruck eines tatsächlichen Gegensatzes, sondern eher eine Form von Rivalität zwischen zwei Lagern, deren gemeinsames Ziel – die Zerstörung Israels – nicht in Frage steht; vielmehr zoffen sich hier allerlei Schurken um den effektivsten Weg dorthin. Diese Erkenntnis von Nahostkorrespondentinnen und -korrespondenten zu erwarten, wäre wohl ein bisschen zu viel verlangt; eher schon rechnet man mit einer Belehrung darüber, was Israels Anteil an den Fights und Schusswechseln ist, was also der Bad Guy nun wieder veranstaltet hat, um die Good Guys gegeneinander aufzuhetzen. Doch Inge Günthers gestriger Beitrag im Kölner Stadt-Anzeiger vernachlässigt erstaunlicherweise dieses allfällige Erklärungsmuster. Für einen regelmäßigen und aufmerksamen Kölner Leser dieses Blattes konnte das nur eins bedeuten: Der Artikel ist ein Fake! Und das hat er dann auch dem Herausgeber dieser Lokalzeitung, Alfred Neven DuMont (Foto), in einem Brief mitgeteilt. Da kaum anzunehmen ist, dass dieses Schreiben, das in Kopie an Lizas Welt ging, tatsächlich veröffentlicht wird, soll es hier dokumentiert werden.

An den
Kölner Stadt-Anzeiger
Herrn Alfred Neven DuMont
Neven-DuMont-Haus
50590 Köln

Fälschung im Kölner Stadt-Anzeiger vom Freitag, 19. Mai 2006

Sehr verehrter Herr Neven DuMont,

eine in Jahrzehnten treuer Leserschaft gewachsene Verbundenheit mit Ihrem Blatt veranlasst mich, Sie dringend auf eine Fälschung hinzuweisen, der Sie offensichtlich zum Opfer gefallen sind. In Ihrer heutigen Ausgabe des Kölner Stadt-Anzeigers veröffentlichen Sie auf Seite 5 den Artikel ‚Machtkampf in Gaza spitzt sich zu’. Dieser Beitrag soll angeblich von Frau Inge Günther verfasst worden sein; tatsächlich kann es sich jedoch nur um einen ebenso offenkundigen wie untauglichen Versuch handeln, sich mit den Federn Ihrer langjährigen Korrespondentin zu schmücken.

Plump und unbedacht unterlässt der/die Fälscher/in den sonst obligatorischen Hinweis Ihrer Auslandsvertreterin darauf, dass ‚die Israelis an allem schuld’ sind. Zwar kann Ihre altgediente Mitarbeiterin auf diesen einprägsamen Merksatz keine Urheberrechte geltend machen; andererseits hat aber die Beständigkeit, mit der sie von ihm Gebrauch macht, längst Gewohnheitsrecht entstehen lassen. Insofern stellt eine Veröffentlichung unter ihrem Namen, aber ohne ihr ‚Markenzeichen’ – neben anderen Rechtsverstößen – eine Fälschung dar.

Leider kann man Ihrer Redaktion den Vorwurf nicht ersparen, den offenkundigen Namensmissbrauch nicht vor der Veröffentlichung erkannt zu haben. Zwar ist nachvollziehbar, dass sich die für den Inhalt Ihres Blattes Verantwortlichen die Lektüre der Beiträge von Frau Günther ersparen wollten. Andererseits sollten für Ihre Mitarbeiter keine grundsätzlich anderen Zumutbarkeitsgrenzen gelten als für Ihre Leser.

Sie mögen vielleicht argumentieren, die Fälschung sei deswegen nicht aufgefallen, weil bei dem Bericht über die Auseinandersetzung zwischen heutigen und bisherigen palästinensischen Terroristen das Prinzip ‚die Israelis sind an allem Schuld’ nur schwer habe einbauen lassen; insofern habe das fehlende Zitat nicht unmittelbar auf die falsche Urheberschaft an dem Artikel schließen lassen. Dieser Einwand verkennt jedoch die absolut verlässliche Konstanz, mit der es Frau Günther in all den Jahren gelungen ist, unter Beibehaltung einer intellektuell gleichbleibenden Qualität einen Weg zu finden, dieses alles erklärende Phänomen zu beschwören – dies galt auch und insbesondere für Beispiele der vorliegenden Art, wo sie es verstand, mit Routine die einfachsten Gesetzmäßigkeiten der Logik zu überwinden.

Sehr geehrter Herr Neven DuMont, als treuer Abonnent des Kölner Stadt-Anzeigers möchte ich auch weiterhin aus Ihrem Blatt die Kraft der Argumente schöpfen, die stetige Wiederholung emporbringt. Verunsichern Sie mich bitte nicht, indem Sie es durch Unterlassen gestatten, dass durch Manipulationen schlichte, aber verlässliche Kommentierungspfade verlassen werden. Nehmen Sie bitte meinen Hinweis zum Anlass, durch einschlägige Maßnahmen (z.B. Plausibilitätsprüfungen) sicherzustellen, dass keine Unbefugten das durch Langmut geprägte Verhältnis Ihrer Leserschaft zu Ihrem Blatt beeinträchtigen.

In inniger Hoffnung auf Rückkehr zu Konstanz und Verlässlichkeit verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen

Ihr O. Anspach, Köln